Rushdie Salman
Heiland zu erlösen. «Aber», zischelte Ago im Gehölz
der Vallata, «ihr habt keine Ahnung, was Giuliano alles
tat, um sie am Leben zu erhalten: Er hat sie sogar in einen Vampir verwandelt.»
Laut dem Mann ihrer Cousine rief man den besten Vampirjäger der Stadt, einen gewissen Domenico Salcedo, in
Giulianos Gemach und befahl ihm, einen jener Blut trinkenden Untoten aufzutreiben. Am folgenden Abend
brachte Salcedo folglich einen Vampir in das Zimmer des
Palastes, in dem die kranke Frau lag. Der Vampir biss zu,
aber Simonetta weigerte sich, der Ewigkeit als ein Mitglied jenes traurigen, blasshäutigen Menschenschlages
entgegenzusehen. «Kaum begriff sie, dass sie ein Vampir
geworden war, sprang sie hoch oben vom Turm des Palazzo Vecchio herab und spießte sich auf einer Lanze der
Torwache auf. Ihr könnt euch denken, welche Mühe man
hatte, das zu vertuschen.» Auf diese Weise, so der Mann
ihrer Cousine, starb die erste Zauberin von Florenz, starb
ohne jede Hoffnung auf eine Wiederkehr von den Toten.
Marco Vespucci verlor vor Kummer den Verstand.
«Marco war ein Trottel», sagte Ago mitleidlos. «Wenn
ich mit einer so scharfen Braut verheiratet wäre, würde
ich sie in den höchsten Turm sperren, damit ihr kein
Mensch etwas antun kann.» Und Giuliano de’ Medici
wurde am Tag der pazzi-Verschwörung erstochen, während Filipepi, das Fässchen, sie auch weiterhin malte,
immer und immer wieder, als könnte er sie mit seinen
Bildern von den Toten zurückholen.
«Genau wie Dashwanth» staunte der Herrscher.
«Das könnte der Fluch der menschlichen Rasse sein»
erwiderte Mogot; «nicht dass wir uns so sehr voneinander unterscheiden, sondern dass wir uns so ähnlich sind.»
Die drei Jungen verbrachten mittlerweile fast jeden Tag
im Wald, kletterten auf Bäume, verspritzten Alraunensamen, erzählten sich verrückte Geschichten über ihre
Familien und beklagten sich über die Zukunft, um nicht
über ihre Angst reden zu müssen, denn kaum war der
Pazzi-Aufstand niedergeschlagen worden, hielt die Pest
Einzug in Florenz, und man hatte die drei Freunde zur
eigenen Sicherheit aufs Land geschickt. Bernardo, Niccolos Vater, blieb in der Stadt und steckte sich an, doch als
sich erwies, dass er zu den wenigen gehörte, die diese
Krankheit überlebten, erzählte sein Sohn den Freunden,
das habe er allein dem magischen Umgang seiner Mutter
Bartolomea mit Maismehl zu verdanken. «Wenn wir
krank werden, schmiert sie uns mit Grießbrei ein», verkündete er mit gewichtiger Miene, flüsterte aber, damit
ihn die Waldkäuzchen nicht hörten. «Je nach Krankheit
nimmt sie entweder gewöhnliche gelbe Polenta oder
kauft, für ernstere Fälle, das weiße Friuli-Mehl ein. Für
etwas so Gefährliches wie die Pest hat sie vermutlich
auch Kohl beigemengt sowie Tomaten und was weiß ich
noch für Zaubergemüse. Aber es klappt. Mama achtet
darauf, dass wir uns ganz nackt ausziehen, und dann löffelt sie uns den heißen Brei über den ganzen Körper, ohne auch nur daran zu denken, welche Schweinerei sie
damit anrichtet. Der Brei saugt die Krankheit auf, und
das war’s. Nun, wie es aussieht, kommt selbst die Pest
nicht gegen Mamas Polenta an.» Argalia begann, Il Machias verrückte Familie die «Polentini» zu nennen, und
dachte sich sogar Spottlieder für eine imaginäre Liebste
namens «Polenta» aus. «Wäre sie ein Florin, hätte ich sie
vertickt», sang er, «wäre sie ein Buch, würde ich verrückt.» Und Ago fiel in den Gesang ein: «Wäre sie ein
Bogen, hätte ich sie überspannt, wäre sie eine Kurtisane,
hätte ich sie verbannt - meine süße Polenta.» Irgendwann
ärgerte sich Il Machia nicht länger, sondern sang selbst
mit. Wäre sie ein Bote} hätte ich sie gesandt wäre sie
eine Bedeutung, hätte ich sie gekannt. Dann aber wurde
ihnen die Nachricht überbracht, dass Nino Argalias Eltern an der Pest erkrankt waren und aller Polentazauber
der Welt nichts genutzt hatte, weshalb Argalia noch vor
seinem zehnten Lebensjahr zu einem Waisenkind wurde.
Der Tag, an dem Nino in den Eichenhain kam, um Il Machia und Ago vom Tod seiner Eltern zu erzählen, war
auch der Tag, an dem sie die Alraune fanden. Wie ein
verängstigtes Tier hatte sie sich unter einem abgebrochenen Ast versteckt. «Jetzt brauchen wir nur noch den Zauberspruch», sagte Ago traurig, «der uns zu Männern
macht, denn was nützt es sonst, wenn die Frauen verrückt
nach uns sind?» Dann kam Argalia, und sie sahen seinen
Augen
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