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Rushdie Salman

Rushdie Salman

Titel: Rushdie Salman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die bezaubernde Florentinerin
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befiehlt und sich so brutal wie ein gewöhnlicher General
oder Fürst aufführt - welche der wilden Gegenden dieses
Heidenlandes findet Ihr besonders attraktiv? Oder sind
sie Euch in ihrer Schändlichkeit alle gleich? Wir sind uns
nämlich sicher, dass wir in den Augen von Pater Acquaviva und Pater Monserrate genau das sind, für das uns
schon Argalia hielt, also ein gottloses Schwein.»
«Mein Herr», antwortete Mogor dell’Amore gelassen,
«ich finde die Vielgötterei ungleich faszinierender, denn
ihre Geschichten sind besser, zahlreicher, dramatischer,
humorvoller und schlichtweg wunderbarer. Außerdem
geben uns ihre Götter kein gutes Beispiel; sie mischen
sich ein, sind eitel, bockig und gemein; und sie benehmen
sich ziemlich ungehobelt, was mir, wie ich bekennen
muss, weit besser gefällt.»
    «Uns geht es ebenso», sagte der Herrscher und beruhigte
sich wieder. «Wir hegen eine große Zuneigung zu diesen
wollüstigen, wütenden, verspielten, liebenden Göttern,
weshalb wir hundertundeinen Mann ernannt haben, sie
alle zu zählen, jede angebetete Heiligkeit in Hindustan,
nicht nur die gefeierten, hohen, sondern auch alle niederen Götter, die kleinen Ortsgeister seufzender Haine und
glucksender Bergbäche. Wir haben die Männer beauftragt, Heim und Familie zu verlassen und sich auf eine
Reise ohne Ende zu begeben, eine Reise, die erst mit
ihrem Tod einen Abschluss findet, denn die ihnen aufgetragene Aufgabe ist unmöglich zu bewältigen. Wenn aber
ein Mensch das Unmögliche auf sich nimmt, reist er jeden Tag mit dem Tod und akzeptiert die Reise als Reinigung, als Erweiterung der Seele, sodass sie keine Reise
zum Benennen der Götter, sondern eine Reise zu Gott
selbst wird. Sie haben mit ihren Anstrengungen kaum
erst begonnen, doch konnten sie bereits eine Million Namen sammeln. Welch eine Vielzahl an Göttlichkeit! Wir
glauben, es gibt in diesem Land mehr übernatürliche Wesen als Menschen aus Fleisch und Blut, und wir sind
glücklich, in einer solch magischen Welt leben zu dürfen.
Dennoch müssen wir sein, was wir nun einmal sind. Die
Million Götter sind nicht unsere Götter Vaters gestrenge
Religion wird auf immer die unsere sein, so wie die Eure
die des Zimmermanns ist.»
Er schaute Mogor nicht länger an, sondern gab sich einem Traum hin. Pfaue tanzten über die morgenhellen
Pflastersteine Sikris, und in der Ferne schimmerte der
große See wie ein Gespenst. Der Blick des Herrschers
wanderte vorbei an Pfauen und See, vorbei am Hof von
Herat und dem Land der grimmigen Türken und blieb auf
den Kuppeln und Türmen einer weit entfernten italienischen Stadt ruhen. «Stellt Euch die Lippen einer Frau
vor», flüsterte Mogor, «zum Kuss gespitzt. So ist die
Stadt Florenz, schmal an den Rändern (geschwollen in
der Mitte, und der Arno fließt hindurch und teilt die Lippen, die untere von der oberen. Diese Stadt ist eine Zauberin. Wen sie küsst, der ist verloren, ob nun König oder
gemeiner Mensch.»
Akbar wanderte durch die Straßen jener anderen steinernen Stadt, in der offenbar niemand unter ihren Dächern
bleiben wollte. In Sikri fand das Leben hinter zugezogenen Vorhängen und verrammelten Toren statt in jener
fremden Stadt aber wurde das Leben unter der Kathedralenkuppel des Himmels gelebt. Man aß, wo man sein
Essen mit den Vögeln teilen konnte, und spielte, wo Taschendiebe die Gewinne stahlen, küsste sich vor den Augen von Fremden, und manchmal, wenn einem der Sinn
danach stand, vögelte man gar im Schatten. Was bedeutete es, wenn man als Mensch so völlig unter Menschen
war? War man eher mehr oder weniger man selbst, wenn
die Einsamkeit solcherart verbannt wurde? Stärkte die
Menge die Individualität? Oder wurde sie dadurch ausgelöscht? Der Herrscher kam sich vor wie Harun al-Rashid,
der Kalif von Bagdad, der nächtens durch seine Stadt
spazierte, um zu erfahren, wie seine Untertanen lebten.
Akbars Mantel aber war aus dem Tuch der Zeit und des
Raumes geschnitten, und diese Menschen waren nicht die
seinen. Warum jedoch empfand er dann ein solch starkes
Gefühl der Verwandtschaft mit den Bürgern dieser lärmenden Gassen? Warum verstand er ihre unaussprechliche europäische Sprache, als wäre es seine eigene?
«Die Frage nach dem Königtum», sagte der Herrscher
nach einer Weile, «beschäftigt uns immer seltener. Unser
Königreich hat Gesetze, nach denen es geführt wird, vertrauenswürdige Beamte und ein Steuersystem, das ausreichend Geld einbringt ohne

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