Rushdie Salman
an, dass er den Zauberspruch gefunden hatte. Sie
zeigten ihm die Alraune, er aber zuckte nur mit den Achseln. «So etwas interessiert mich nicht mehr», sagte er.
«Ich laufe fort nach Genua, um mich der Goldbande anzuschließen.» Es war der Herbst der condottieri, jener
Glücksritter mit eigenen Söldnerarmeen, die ihre Dienste
an die Stadtstaaten Italiens verkauften, da dies billiger
war, als sich ein stehendes Heer zu halten. Ganz Florenz
kannte die Geschichte von Giovanni Milano, der hundert
Jahre zuvor in Schottland als Sir John Hauksbank zur
Welt gekommen war. In Frankreich kannte man ihn als
«Jean Aubainc», in den deutschsprachigen Kantonen der
Schweiz als «Hans Hoch» und in Italien als Giovanni
Milano - nach dem Milan, einem Greifvogel, ähnlich
dem englischen hawk oder hauk -, und er war Anführer
der Weißen Gesellschaft gewesen, ehedem General von
Florenz und im Namen der Florentiner Sieger in der
Schlacht von Polpetta gegen die verhassten Venezianer.
Paolo Uccello hatte sein Grabmalfresko geschaffen, das
heute noch im Dom zu besichtigen ist. Doch das Zeitalter
der condottieri neigte sich dem Ende zu.
Argalia zufolge war Andrea Doria der größte noch lebende Söldner, Anführer der Goldbande und gerade damit befasst, Genua von französischer Fremdherrschaft zu
befreien. «Aber du bist Florentiner, und wir sind mit den
Franzosen verbündet», rief Ago, der an die Reise seiner
Verwandten nach Paris denken musste. «Wird man Söldner», sagte Argalia und betastete sein Kinn, weil er wissen wollte, ob ihm dort schon Haare wuchsen, «gehen die
Treuebündnisse der Kindheit flöten».
Andrea Dorias Soldaten waren mit «Hakenbüchsen» bewaffnet, mit Arkebusen, die beim Schießen wie eine
tragbare Kanone auf einem Dreibein abgelegt wurden.
Die meisten Arkebusiere waren Schweizer, und Schweizer Söldner waren die schrecklichsten Mordmaschinen,
Männer ohne Gesicht oder Seele, unbezwingbar, grauenvoll. Wenn er erst mit den Franzosen fertig war und das
Kommando über Genuas Flotte besaß, wollte Doria es
mit den Türken selbst aufnehmen. Argalia gefiel die Aussicht auf eine Seeschlacht. «Wir haben sowieso nie Geld
gehabt», sagte er, «und die Schulden meines Vaters verschlingen die Einkünfte des Stadthauses sowie der wenigen Ländereien hier draußen, die uns noch geblieben
sind, also habe ich die Wahl, ob ich wie ein armer Hund
in den Straßen bettele oder bei dem Versuch krepiere,
mein Glück zu machen. Ihr beide werdet einmal dick und
fett vor lauter Macht, hängt euren Frauen eine Schar
Kinder an und lasst sie dann daheim, wo sie das Geschrei
der kleinen Unholde erdulden müssen, während ihr ins
Hurenhaus La Zingaretta oder zu einer üppig gepolsterten
Nobelnutte geht, die Gedichte rezitieren kann, während
ihr auf ihr zappelt und euch dumm und dämlich vögelt,
alldieweil ich auf einer brennenden Karavelle vor Konstantinopel mit einem türkischen Krummschwert im Leib
verrecke. Aber wer weiß? Vielleicht werde ich auch
selbst zum Türken. Argalia, der Türke, Träger der Verwunschenen Lanze mit vier mächtigen Schweizer Riesen,
vier bekehrten Muslimen in meinem Ge-folge. Schweizer
Mohammedaner, jawohl. Warum auch nicht? Ist man ein
Söldner, zählen allein Schmuck und Gold, und wer das
haben will, der muss nach Osten ziehen.»
«Aber du bist ein Kind wie wir», warf Machia ein.
«Willst du nicht erst einmal erwachsen werden, ehe du
dich umbringen lässt?»
«Nein, ich nicht», sagte Argalia, «ich ziehe ins Heidenland, um gegen seltsame Götzen zu kämpfen. Wer weiß
schon, was die da anbeten, Skorpione, Ungeheuer oder
Würmer. Aber sterben tun sie genau wie wir, darauf
könnt ich wetten.»
«Zieh nicht in deinen Tod mit unheiligen Flüchen auf den
Lippen», sagte Niccolo. «Bleib bei uns. Mein Vater liebt
dich gewiss ebenso wie mich. Oder denk nur an die vielen Vespuccis, die bereits in Ognissanti leben. Einer
mehr fällt da gar nicht auf, falls du lieber bei Ago wohnen möchtest.»
«Ich gehe», sagte Argalia. «Andrea Doria hat die Franzosen fast aus der Stadt getrieben, und ich will dort sein,
wenn der Tag der Freiheit anbricht.»
«Und Ihr, Ihr mit Euren drei Göttern, einem Zimmermann, einem Vater, einem Geist und der Mutter des
Zimmermanns als Göttin obendrein», fragte der Herrscher Mogor verärgert, «Ihr aus dem Heiligen Land, das
seine Bischöfe hängt und Priester auf Scheiterhaufen
verbrennt, während sein größter Gottesmann Armeen
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