Rushdie Salman
die Menschen in größeres
Unglück zu stürzen, als ratsam wäre. Wenn es Feinde zu
besiegen gibt, besiegen wir sie. Kurz und gut auf diesem
Gebiet haben wir die Antworten, nach denen uns verlangt. Die Frage jedoch, was den Mann ausmacht plagt
uns weiterhin, beinahe ebenso sehr wie die damit verwandte Frage, was denn die Frau ist.»
«In meiner Stadt mein Herr; wurde die Frage, was der
Mann ist auf alle Zeit beantwortet», sagte Mogor, «was
aber die Frage nach der Frau angeht nun, genau darum
dreht sich meine Geschichte.»
11. Alles was er liebte fand sich…
Alles, was er liebte, fand sich laut Ago Vespucci direkt
vor seiner Haustür; es war unnötig, in der weiten Welt
sein Glück
zu suchen und unter Fremden mit gutturaler Sprache aus
dem
Leben zu scheiden. Vor langer Zeit war er im oktogonalen Dämmerlicht des Battistero di San Giovanni zweimal
getauft worden, ganz wie es der Sitte entsprach, einmal
als Christ und dann noch einmal als Florentiner, und für
einen ungläubigen Bastard wie Ago zählte nur die zweite
Taufe. Die Stadt war seine Religion, eine Welt so vollkommen wie der Himmel. Der große Buonarroti hatte die
Türen des Baptisteriums Pforten zum Paradies genannt,
und als der Säugling Ago mit noch feuchtem Kopf aus
jenem Gebäude auftauchte, begriff er sogleich, dass er in
ein von Mauern und Toren geschütztes Eden kam. Insgesamt gab es fünfzehn Tore, und auf ihren Innenseiten
waren Bilder von der Jungfrau Maria und diversen Heiligen zu sehen. Reisende berührten die Tore, weil es Glück
bringen sollte, und niemand begab sich durch diese Tore
auf große Fahrt, ohne zuvor die Astrologen zu befragen.
In Ago Vespuccis Augen bewies die Absurdität eines
solchen Aberglaubens nur, wie verrückt weite Reisen
waren. Der Hof der Machiavellis in Percussina lag am
äußersten Rand seines Universums. Dahinter begann die
Wolke der Unwissenheit. Genua und Venedig waren ihm
so fern und erdacht wie am Himmel Sirius oder Aldebaran. Planet aber hieß «Wanderer». Ago missbilligte Planeten und zog Fixsterne vor. Aldebaran und Venedig,
Genua und der Hundsstern waren vielleicht zu weit fort,
um gänzlich real zu sein, doch besaßen sie Anstand genug, am selben Fleck zu verweilen.
Wie das Schicksal es wollte, wurde Florenz nach der
Niederschlagung des Pazzi-Aufstandes weder vom Papst
noch vom König von Neapel angegriffen, doch als Ago
Anfang zwanzig war, ließ sich der König von Frankreich
blicken und hielt triumphalen Einzug in der Stadt - ein
kleiner, rothaariger Homunkulus, angesichts dessen
unerträglichem Franzosenturn Ago der Brechreiz packte.
Also ging er ins Bordell und gab sich größte Mühe, seine
Laune zu verbessern, denn schon auf der Schwelle zur
Mannbarkeit war sich Ago in einer Sache mit seinem
Freund Niccolo «Il Machia» völlig einig gewesen: Wie
schwer das Leben auch sein mochte, eine gute, tatkräftig
mit einer Frau verbrachte Nacht konnte alles wieder richten. «Es gibt kaum ein Leid auf der Welt, mein Lieber»,
belehrte ihn Il Machia, als Ago erst dreizehn war, «das
eine Möse nicht heilen könnte.» Trotz seines oft ruppigen
Tons war Ago ein ernster, gutherziger Junge. «Und die
Frauen», fragte er, «wo gehen die hin, wenn sie ein Leid
plagt?» Il Machia sah ihn verblüfft an, als hätte er darüber noch nie nachgedacht; vielleicht aber wollte er ihm
auch nur zu verstehen geben, dass ein Mann seine Zeit
nicht mit solchen Überlegungen verplemperte. «Zu einer
anderen Frau, ganz klar», sagte er mit einer jugendlichen
Bestimmtheit, die für Ago wie das letzte Wort in dieser
Angelegenheit klang. Warum sollten Frauen auch keinen
Trost in den Armen anderer Frauen suchen, wenn ihn
doch die Hälfte der jungen Männer bei ihren Geschlechtsgenossen fand?
Dass sich die Sodomie unter der Blüte Florentiner Mannestums einer derartigen Beliebtheit erfreute, brachte der
Stadt den Ruf ein, in Sachen Homophilie die Hauptstadt
der Welt zu sein. «Wiederauferstandenes Sodom», taufte
Niccolo bereits mit dreizehn Jahren seine Heimatstadt.
Und obwohl er selbst noch so jung war, konnte er Ago
bereits versichern, Mädchen interessanter zu finden,
«damit du keine Angst hast, ich könnte dich im Wald von
hinten anfallen.» Viele Zeitgenossen waren jedoch anders
gesinnt - zum Beispiel ihre Klassenkameraden Biagio
Buonaccorsi und Andrea di Romolo -, weshalb die Stadt
mit voller Unterstützung der Kirche beschloss, angesichts
der zunehmenden Verbreitung
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