Rushdie Salman
etwas
weiter entfernt gelegenen Wald bei der Burg Bibbione.
Sie fanden allerdings nur Pilze und eine geheimnisvolle
dunkle Blume, von der sie Ausschlag bekamen. Schließlich sagten sie sich, der Samen für Alraunen müsse doch
gewiss nicht unbedingt von einem Erhängten stammen,
und mit mancherlei Gerubbel und Gekeuch verspritzten
sie ein paar kraftlose Tropfen auf die gleichgültige Erde.
Dann aber, als sie zehn Jahre alt wurden, zierte den Palazzo della Signoria am Ostersonntag eine Girlande aus
baumelnden Toten, da man an besagtem Wochenende auf
Anweisung von Lorenzo de’ Medici achtzig besiegte Pazzi-Verschwörer an den Fensterkreuzen aufgeknüpft hatte,
darunter sogar einen Erzbischof in vollem Ornat; und wie
es der Zufall wollte, befand sich Argalia mit Machia und
seinem Vater Bernardo gerade im Haus der Familie jenseits des Ponte Vecchio zu Besuch, nur drei, vier Straßen
entfernt; als aber alle Welt in die Stadt lief, hielt auch sie
nichts mehr daheim.
Bernardo folgte ihnen und wirkte mindestens ebenso
furchtsam und aufgeregt wie die beiden Jungen. Er galt
als typischer Stubengelehrter, ein freundlicher, herzensguter Junge, der allem Blutrünstigen abgeneigt war, doch
ein hängender Erzbischof, den durfte man nicht verpassen, einen solchen Anblick konnte man sich nicht entgehen lassen. Die Jungen hatten Blechtassen dabei, um gegebenenfalls einige nützliche Tropfen einzusammeln.
Auf der Piazza trafen sie ihren Freund Agostino Vespucci, der den Ermordeten schmatzende Luftküsse zuwarf
und vor ihnen obszöne Onaniergesten machte. Den sich
im Wind drehenden, stinkenden Leichen rief er dabei zu:
«Scheiß auf euch! Scheiß auf eure Tochter! Eure
Schwester! Eure Mutter, euren Großvater, euren Bruder,
eure Frau und deren Bruder, deren Mutter, deren Schwägerin und auch deren Mutter». Argalia und n Machia
erzählten Ago vom Alraunenreim, woraufhin der sich
eine Tasse schnappte, um sich damit unter das Gemächt
des Erzbischofs zu stellen. Kaum waren die drei Jungen
wieder in Percussina, vergruben sie die beiden Tassen,
murmelten dabei einige vermeintlich satanische Verse
und warteten dann lange und vergeblich darauf, dass die
Pflanzen der Liebe zu sprießen begannen.
«Was als Geschichte über baumelnde Verräter beginnt»,
sagte Akbar zu Mogor dell’Amore, «endet meist als verräterische Geschichte.»
Am Anfang waren drei Freunde: Antonio Argalia, Niccolo «Il Machia» und Ago Vespucci. Der goldhaarige Ago,
der Redegewandteste im Trio, war ein Kind der Menge,
des Gedränges, des Gezänks, ein typischer Spross der
Familie Vespucci, die dicht an dicht im überfüllten
Stadtviertel Ognissanti lebte und Olivenöl, Wein und
Wolle über den Arno in den gonfalone deI drago lieferte,
den Drachenbezirk. Er war mit einer lauten, frechen
Klappe gesegnet, denn wer in seiner Familie nicht laut
und frech war, wurde gern im allgemeinen Getöse der
feuerspeienden Vespuccis überhört, die sich gegenseitig
anschrien wie die Apotheker oder Barbiere auf dem Mercato Vecchio. Agos Vater arbeitete als Notar für Lorenzo
de’ Medici, weshalb er erleichtert war, sich nach diesem
Ostern des Erdolchens und Erhängens auf der Gewinnerseite zu sehen. «Nur fallt jetzt das verfluchte Heer des
Papstes über uns her, weil wir diesen verdammten Pfaffen getötet haben», brummte Ago. «Außerdem auch noch
das verfluchte Heer des Königs von Neapel.» Agos Vetter, der wilde vierundzwanzigjährige Amerigo oder Alberico Vespucci, wurde bald darauf mit seinem Onkel Guido ausgesandt, den König Frankreichs um Hilfe für die
Regentschaft der Medici zu bitten. An dem Funkeln, das
in Amerigos Augen aufblitzte, sobald sie sich auf den
Weg nach Paris machten, war leicht zu erkennen, dass er
die Reise selbst aufregender fand als die Aussicht, dem
König zu begegnen. Ago dagegen gehörte nicht zu denen, die gern verreisten. «Ich weiß, was ich werden will,
wenn ich einmal groß bin», sagte er seinen Freunden in
Percussinas Alraunenwäldern, in denen es keine Alraunen gab. «Ich werde ein dämlicher Schafsverkäufer, ein
Weinhändler oder, falls ich es irgendwie in den Staatsdienst schaffe, ein verdammter Schreiberling, ein Kontenbuchkritzler ohne Konto, Hoffnung oder Zukunft.»
Obwohl er der trostlosen Zukunft eines einfachen Schreiberlings entgegensah, steckte Ago randvoll mit Geschichten, die ausnahmslos Marco Polos Abenteuern glichen,
phantastische Reiseerzählungen, von denen ihm kein
Mensch auch
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