Rushdie Salman
nur ein einziges Wort glaubte, und doch
wollten ihn alle hören, ganz besonders, wenn er über das
schönste Mädchen seit Beginn der Stadtgeschichte
schwadronierte, vielleicht sogar seit Beginn allen Lebens
auf Erden. Erst zwei Jahre war es her, seit Simonetta Cattaneo (verheiratet mit Agos Vetter Marco Vespucci, den
man hinter seinem Rücken allgemein nur den Gehörnten
Marco oder Marco den Liebesnarr nannte, an Schwindsucht gestorben und ganz Florenz der Trauer anheimgefallen war, denn Simonetta hatte jene fahle, blasse
Schönheit besessen, die so mächtig war, dass kein Mann
ihrer ansichtig werden konnte, ohne in einen Rausch dahin schmelzender Anbetung zu versinken, ebenso wie
übrigens auch keine Frau und nahezu die meisten Katzen
und Hunde der Stadt; vielleicht hatten sogar die Krankheiten sie geliebt, weshalb sie schon vor ihrem vierundzwanzigsten Lebensjahr sterben musste. Simonetta Vespucci war mit Marco verheiratet gewesen, doch hatte er
sie mit der ganzen Stadt teilen müssen, was er anfangs
mit einer Miene der Ergebenheit duldete, die den Bürgern
dieser verschlagenen, gewitzten Stadt nur verriet, welch
Schwachkopf er war. «Eine derartige Schönheit ist Allgemeingut», pflegte er mit wahrhaft idiotischer Unschuld
zu sagen, «so wie ein Fluss oder das Gold in der städtischen Schatzkammer, das herrliche Licht und die gute
Luft der Toskana.» Der Maler Alessandro Filipepi malte
sie viele Male, vor und nach ihrem Tod, er malte sie bekleidet und nackt, als Frühling und als Göttin Venus,
sogar als sie selbst. Wenn sie für ihn posierte, nannte sie
ihn oft «mein Fässchen», da sie ihn mit seinem älteren
Bruder verwechselte, den die Leute wegen seiner rundlichen Form gern «botticelli» nannten, «Fässchen» also.
Der jüngere Filipepi, der Maler, glich nun keineswegs
einem Fass, aber wenn Simonetta ihn so nennen wollte,
war das für ihn in Ordnung, weshalb er begann, auf diesen Namen zu hören.
Der Zauber der Simonetta war von solcher Art, dass sie
Männer beliebig verwandeln konnte, in Götter oder in
Schoßhunde, in Fässchen oder Fußschemel, aber natürlich auch in Liebhaber. Sie hätte kleinen Jungen befehlen
können, für ihre Liebe zu ihr zu sterben, was sie gewiss
freudig getan hätten, doch war sie für derlei zu gutmütig,
und sie hatte ihre Macht nie missbraucht. Die Verehrung
der Simonetta nahm ungeheure Ausmaße an, bis die
Menschen insgeheim sogar begannen, in der Kirche zu
ihr zu beten und mit gedämpfter Stimme ihren Namen zu
murmeln, als wäre sie eine lebende Heilige. Gerüchte
von Wundertaten breiteten sich aus: Ihr Liebreiz habe
einen Mann erblinden lassen, als sie auf der Straße an
ihm vorüberging; ein Blinder sei wieder sehend geworden, als sie in einer plötzlichen Geste des Mitleids ihre
Fingerspitzen bekümmert auf seine gequälte Stirn legte;
ein verkrüppeltes Kind habe sich erhoben, um ihr nachzulaufen; ein anderer Junge sei von einer schlagartigen
Lähmung befallen worden, als er hinter ihrem Rücken
eine obszöne Geste machte. Beide, Lorenzo und Giuliano
de’ Medici, waren so verrückt nach ihr, dass sie ihr zu
Ehren einen Turnierkampf abhielten - Giuliano trug dabei
ein Banner mit ihrem Porträt, gemalt von Filipepi, darunter die französischen Worte: la sans pareille, womit er
bewies, dass er vor seinem Bruder ihre Gunst errungen
hatte. Anschließend hatte man Simonetta in einer Zimmerflucht des Palastes untergebracht, woraufhin selbst
der dumme Marco merkte, dass mit seiner Ehe etwas
nicht stimmte, doch wurde er gewarnt, es könne ihn das
Leben kosten, sollte er dagegen aufbegehren. Danach war
Marco Vespucci der einzige Mann in der Stadt, der der
Schönheit seiner Frau widerstehen konnte. «Sie ist eine
Hure», sagte er in den Tavernen, die er immer häufiger
aufsuchte, um den Gedanken daran zu ertränken, dass er
ein gehörnter Ehemann war, «und ich finde sie so hässlich wie die Medusa.» Selbst Fremde schlugen ihn zusammen, weil er die Schönheit von la sam pareille anfocht, bis er letztlich in Ognissanti bleiben und allein
trinken musste. Dann wurde Simonetta krank und starb,
und auf den Straßen von Florenz erzählte man sich, die
Stadt habe ihre Zauberin verloren, ja, ein Teil der städtischen Seele sei mit ihr dahingegangen, doch hieß es
auch, dass sie eines Tages wieder auferstehen würde,
dass die Florentiner nie wieder ganz sie selber sein würden, ehe sie nicht zurückkehrte, um sie alle wie ein zweiter
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