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Russen kommen

Russen kommen

Titel: Russen kommen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Rossmann
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dazu. Verkochen lassen.
    Als Oskar eine Viertelstunde später kommt, hat er keinerlei Grund, daran zu zweifeln, dass ich daheim war. Der Duft nach Tomaten zieht durch die Wohnung.
    »Ich habe nur Meeresfrüchtelaibchen vorbereitet«, sage ich, nachdem ich ihn geküsst habe. »Mit Muschelsauce. Ich wusste nicht, ob du schon gegessen hast.« Die Ehefrau begrüßt ihren Gatten, der von einem harten Arbeitstag heimkehrt. Ich sehe ein Plakat aus den Fünfzigerjahren vor mir: Mira mit der Kochschürze und rot geschminkten Lippen, wie sie ihrem stattlichen Ehemann ein Küsschen auf die Wange gibt, im Hintergrund der Herd, voll mit dampfenden Töpfen. Ich mag mich selbst nicht leiden. Aber die Sauce, die riecht wirklich gut. Ich brate die Meeresfrüchtelaibchen auf beiden Seiten in Olivenöl, mixe die Tomaten-Orangen-Mischung, lasse sie aufkochen, lege die Miesmuscheln und die übrigen Shrimps ein. Sobald die Sauce zu blubbern beginnt, drehe ich die Flamme ab.
    »Wie geht es deinem Arm?«, fragt Oskar später.
    »Alles okay«, erwidere ich und komme mir noch immer mies vor. Vesna nimmt den Nachtzug von Leipzig nach Wien. Sie ist es auch, die den Prospekt bei sich hat. In meiner Tasche steckt allerdings eine Kopie davon. Für alle Fälle.
    Am nächsten Morgen stehe ich in meinem winzigen Badezimmer und starre auf mein Spiegelbild. Es soll ja Menschen geben, die sich in der Früh im Spiegel gar nicht erkennen. Das wäre mir heute sehr recht. Aber ich erkenne mich, ich weiß bloß nicht, wer ich eigentlich bin. Die Sensationsreporterin des »Magazins«? Eine Journalistin, die nach der Wahrheit sucht? Eine verlogene Ehefrau? Geliebte und Freundin von Oskar, dem Wunderbaren? Ich seufze und greife nach meiner elektrischen Zahnbürste. Sie ist nicht da. Moment mal. Ich habe sie auf dem Leipziger Flughafen ausgepackt. Wo habe ich sie hingesteckt? Wahrscheinlich in ein Seitenfach meiner Handtasche. Schöne Tasche, aber lange nicht so schön und so praktisch wie meine alte. Könnte Oskar zu denken geben, wenn meine Zahnbürste in der Handtasche ist. Gestern Abend habe ich das Zähneputzen vergessen. Wir haben uns geliebt. Aber irgendwie war ich nicht ganz bei der Sache. Ich spähe aus der Badezimmertür. Oskar ist in der Küche. Die Tasche hängt am Kleiderständer im Vorzimmer, keine zwei Meter von der Küche entfernt, die Küchentür ist, wie immer, offen. Also nicht Zähne putzen? Halte ich schwer aus. Und was, wenn Oskar das Fehlen meiner Zahnbürste im Badezimmer auffällt? Wenn es ihm längst aufgefallen ist? Ich schleiche ins Vorzimmer, fingere vorsichtig die Tasche vom Kleiderständer.
    Oskar dreht sich um, sieht mich an, lächelt und meint: »Um aus dem Haus zu gehen, hast du aber noch ziemlich wenig an.« Genau genommen gar nichts.
    »Ach«, sage ich, »in der Tasche sind irgendwelche Kosmetikproben, die ich bekommen habe. Irgendwas gegen Falten rund um die Augen oder so.« Ich versuche ein Grinsen, packe die Tasche und trage sie ins Badezimmer. Gute Reaktion, Mira. – Lernt man das Lügen, wenn man es oft genug tut? Ist es bloß Übungssache? Ich finde meine Zahnbürste in einem Seitenfach, putze mir nun endlich die Zähne und denke mir: Notlügen sind erlaubt. Immer die Wahrheit zu sagen kann ganz schön brutal sein. Die Wahrheit ist, ich liebe Oskar. Und ich liebe meinen Job. Ich fahre mir durch die kurz geschnittenen dunklen Haare, viel praktischer als meine langen, an denen ich bis vor ein paar Jahren so gehangen bin, und zucke zusammen. Ein schreckliches lautes Geräusch. Der Klingelton meines Wertkartentelefons, verstärkt im kleinen Badezimmer, nervös fingere ich es aus der offenen Tasche.
    »Ist etwas ganz Schlimmes passiert«, sagt Vesna, »bitte komm sofort zu mir.«
    »Was ist?«, erwidere ich aufgeregt, ich halte solche kryptischen Botschaften schlecht aus.
    »Komm!«, ruft Vesna und legt einfach auf.
    Ich renne ins Schlafzimmer, ziehe mir Jeans und eine weite Bluse über, unter der man den Verband nicht bemerkt. Ich renne zu Oskar, bremse mich rechtzeitig. Ich kann jetzt keine Fragen brauchen.
    »Ich muss dringend in die Redaktion, ich habe ein Meeting mit dem neuen Chefredakteur verschwitzt!«
    »So früh? Was war das für ein scheußlicher Ton im Badezimmer?«
    »Das? Ach, mein neues Handy. Das Ersatzhandy. Ich bin noch nicht dazu gekommen, einen besseren Klingelton einzustellen.«
    »Schade«, sagt Oskar und lächelt, »das Frühstück ist fast fertig.«
    Ich umarme ihn, kann gut sein, dass er sich

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