Russen kommen
wundert, wie fest ich ihn umarme, ich küsse ihn und renne in den Hausflur.
»Einen schönen Tag«, ruft er mir nach.
Sieht nicht ganz danach aus. Was kann es heißen, dass etwas Schlimmes passiert ist? Eines ihrer Kinder verletzt? Tot? Ihr Halilovi c verunglückt? Weg? Etwas mit Valentin Freytag? Ein Duell zwischen beiden? Wäre jemand verletzt, wäre Vesna sicher nicht zu Hause, sondern im Krankenhaus, beruhige ich mich. Ich habe eine Idee: Vielleicht hat ihr jemand den Prospekt geklaut? Halb so schlimm. Ich habe meine Kopie in der Handtasche. Zum Glück hatten sie im Hotel einen sehr guten Farbkopierer. Und in der Redaktion werde ich sie sofort einscannen.
Als ich in die Gasse von Vesnas Wohnung und Büro einbiege, werde ich langsamer. Ich ahne schon, was passiert ist: Es riecht verbrannt, auf der Straße stehen einige angekohlte Möbel, die mir bekannt vorkommen. Ich laufe hin. Das Schild mit »Sauber! Reinigungsarbeiten aller Art« hängt schräg über einem Fenster, es wurde auf der rechten Seite aus seiner Verankerung gerissen. Beide Fenster zu Vesnas Büro stehen offen, das Glas fehlt. Schwarzer Ruß rund um die Öffnungen, ausgeschossene Augen müssen ähnlich aussehen, fällt mir ein. Es riecht penetrant nach Rauch und nach Verbranntem. Ich hetze ins Haus, hier ist der Geruch noch stärker. Die Tür zu Vesnas Büro steht offen, ich trete auf den verkohlten, ehemals so bunten Teppich und merke, dass er durch und durch nass ist. Nasser schwarzer Schmutz, denke ich, das Gegenteil von dem, was Vesna wollte. Sauber! Reinigungsarbeiten aller Art. Wo ist Vesna? Ich finde sie in der Küche der Wohnung, Jana ist bei ihr. Auch hier riecht es nach kaltem Rauch und Ruß. Vesna sieht mich, springt auf, umarmt mich und will mich kaum noch loslassen.
Jana ist es, die erzählt: »Ich hab noch etwas für die Uni gearbeitet, es war cirka halb zwei in der Nacht, ich bin gerne lang auf. Ich höre ein Klirren, nicht mehr, habe mir gar nichts gedacht, und zehn Sekunden später ein schrecklich lauter Knall. Zuerst hab ich vermutet, da ist etwas in der Gasse passiert, aber da war nichts, dann bin ich ins Büro hinüber. Die Flammen sind mir entgegengekommen, ich hab die Tür zugeworfen und die Feuerwehr angerufen. Da konnte man nichts mehr tun, gar nichts.«
»Kann es ein … Zufall gewesen sein? Irgendein Gerät, das sich überhitzt hat und dann explodiert ist?«, frage ich.
Die beiden schütteln den Kopf.
»Ich bin in der Früh vom Zug gekommen, und dann das«, sagt Vesna dumpf. »Es muss eine Brandbombe gewesen sein oder so ein Molotowcocktail, das sagen auch die von der Feuerwehr. Spurensicherung war schon da und kommt wieder.«
»Welche Fälle hast du in der letzten Zeit bearbeitet?«, frage ich. »Wer könnte sich an dir rächen wollen?«
Vesna greift hinter sich auf die Küchenarbeitsfläche. Sie hält mir einen Zettel hin, der sorgfältig in Klarsichtfolie eingepackt ist: »Grüße aus Moskau!«
[ 8 ]
I ch weiß nicht, ob meine E-Mails kontrolliert und meine Telefone abgehört werden. In den USA haben sie gerade ein Gesetz beschlossen, laut dem das die Geheimdienste bei Terrorverdacht sogar im Ausland tun dürfen. Ganz offiziell. Nach amerikanischem Recht jedenfalls. Nur dass wir es mit Russen zu tun haben. Fragen die vielleicht erst gar nicht nach einem Gesetz? Ich werde nach Moskau fliegen. Der Brandanschlag auf Vesnas Büro hat mir klargemacht, dass uns die Leute, die hinter dem Mord an Dolochow stecken, so lange nicht in Ruhe lassen werden, bis der Fall geklärt ist. Natürlich könnten wir uns verstecken und darauf warten, bis die Polizei ihre Arbeit erledigt hat. Aber was, wenn die russisch-österreichischen Beziehungen darunter leiden würden? Was passiert dann? Oder was passiert dann nicht? Zuckerbrot hat nie zu denen gehört, die etwas vertuschen, vergessen, kleinreden wollen. Jetzt bin ich mir da nicht mehr so sicher. In der nächsten Ausgabe des »Magazins« werde ich Auszüge aus dem Prospekt bringen. Vesna wird nicht vorkommen, wir können es nicht brauchen, dass alle erfahren, wie wir zusammenarbeiten. Es wissen ohnehin schon zu viele. Hat man ja gesehen.
Vesna ist zum Glück gut versichert, aber ihr Büro und ihr winziges Zimmer dahinter sind bis auf Weiteres unbenutzbar. Sie will weder zu Valentin ziehen – auch deshalb, sagt sie, weil sie ihn nicht in diese Sache hineinziehen möchte – noch zurück in die Wohnung zu Halilovi c . Sie hat sich ein Zimmer in einem kleinen Hotel ganz in
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