Russen kommen
Projekte an Land zu ziehen? Wer sonst könnte dazu in der Lage sein? Dieser vom Erdboden verschwundene Sachow? Was, wenn er hier, irgendwo in den Leipziger Außenbezirken zwischen Heidegras und Bürogebäuden, untergetaucht ist?
Vesna schüttelt den Kopf. »Kann sein. Aber er kann überall sein.«
»Fragt sich nur, ob schon Geld in die Firma geflossen ist und wie viel«, sage ich. »Und warum keiner reden will.«
»Wir sollten nach Moskau«, sagt Vesna. »Ist am wahrscheinlichsten, dass man Sachow und die Dolmetscherin in Moskau findet. Vielleicht redet die Dolmetscherin.«
»Wenn sie tatsächlich nichts anderes war als das …«
»Vielleicht redet Callgirl eher«, überlegt Vesna.
»Und was, wenn sie der Kopf von alldem war?«, murmle ich. Sie hat nicht so ausgesehen. Zart und hübsch und jung. Aber auch die Oligarchen waren jung, als sie ihre ersten Millionen gemacht haben. Das war allerdings eine andere Zeit. Damals gab es den großen Ausverkauf in Russland, für alle, die die richtigen Freunde und somit Kredit hatten.
»Der echte Dolochow hätte einen solchen Prospekt nicht notwendig«, sage ich langsam.
Vesna lächelt. »Du nimmst ihn in Schutz, ist dir das klar? Der Mann mit dem vielen Geld gefällt dir. Wird schon sein, dass es sein Bruder gemacht hat. Aber: Boris Dolochow hat gute Beziehungen. Er bekommt heraus, dass sich sein Bruder als Oligarch Dolochow ausgibt. Er befiehlt seinen Sicherheitsleuten, seinen Bruder zur Vernunft zu bringen. Er will wissen, wer an der Firma beteiligt ist. Sicherheitsleute machen Fehler, sind zu grob, Bruder stirbt.«
Eine Theorie mehr. Aber da ist schon etwas dran. Würde sich der Geschäftsmann der Polizei steilen, nur weil sein Bruder, eine zwielichtige Figur, mit der er kaum Kontakt hat, versehentlich ums Leben kommt?
»Das ist alles zu kompliziert«, sage ich. »Vielleicht war es einfach die Russenmafia. Weil irgendjemand keine neuen Mitspieler auf dem Markt brauchen konnte.«
»Und das hältst du für einfacher?«, spottet Vesna.
Karla Seefeld sitzt in Moskau. Sie ist eine gute Freundin von Droch. Manninger kocht in Moskau. Wer weiß, wer in seinem Lokal alles verkehrt?
»Wenn, dann fahre ich nach Moskau und du bleibst brav bei deinem Oskar«, sagt Vesna etwas später. »Ich könnte Valentin zu einem kurzen Urlaub überreden. Er fährt gern mit mir weg.«
»Der wäre sicher begeistert«, stimme ich spöttisch zu. »Vor allem, wenn er danach herausfindet, dass das schon der zweite Fall ist, in dem du ihn instrumentalisiert, um an Informationen zu kommen.«
Ich brauche ein Zimmer. Ich will es nicht unter meinem Namen nehmen, vielleicht sucht mich Flemming. Aber ich werde meinen Pass herzeigen müssen. Meinen neuen Pass. Vielleicht geht es auch anders. Ich gehe hinunter zur Rezeption. Fünf Minuten später habe ich mein Zimmer. Auf den Namen Maria Kellerfreund. Etwas Besseres ist mir nicht eingefallen. Als die Rezeptionistin nach dem Pass gefragt hat, habe ich wahrheitsgemäß gesagt, dass er mir gestohlen worden ist. Zum Glück habe ich die Verlustanzeige der Polizei in der Tasche gehabt. Dort, wo mein Name steht, habe ich den Daumen darübergelegt. Sie wollte es nicht so genau wissen. Außerdem habe ich ihr eine Visitenkarte meines Mannes hingehalten. Auf der Karte steht bloß seine Büronummer. Oskar ist ohnehin nicht da. Möglichst nah an der Wahrheit bleiben. Und hoffen, hoffen, dass Oskar von meinem Ausflug nichts erfährt.
Und wenn ich den Prospekt nächste Woche im »Magazin« abdrucke? Woher habe ich ihn? Jemand hat ihn mir anonym zugesandt? Vesna hat weiterrecherchiert? Beides hieße nicht, dass ich mein Versprechen gebrochen habe.
Am nächsten Morgen: Hetzerei am Flughafen. Ich habe am Schnell-Check-in per Computer eingecheckt. Jetzt stehe ich in der langen Schlange vor der Sicherheitskontrolle. Vor mir drei junge Frauen, außergewöhnlich groß, außergewöhnlich schön. Ich tippe auf Models. Sie suchen ihre Lipgloss, Cremes, Gels zusammen, aber nur eine hat das berühmte durchsichtige Ein-Liter-Sackerl dabei. Sie packen den Rest in eine durchsichtige Cellophantüte. Ich bin schon sehr spät dran. Der Flieger startet in dreißig Minuten. Ich hoffe, dass Models bei dem unfreundlichen, pingeligen Beamten einen Vorteil haben. Sie legen ihre durchsichtigen Säckchen aufs Förderband, Aber der Beamte ist einer, der es liebt, andere ohne Ansehen von Herkunft, Geschlecht oder Religion zu schikanieren. Korrekt bis zum Erbrechen. Er weist die große Blonde
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