Russen kommen
»War gar nicht so einfach, die Autobahn damals zu verhindern. Gibt ja immer genug Politiker, die glauben, sie können mit einem solchen Projekt Stimmen fangen. Als Rache haben sie verhindert, dass ich Geld für den Bahnausbau bekomme.«
Ich habe ihn nach diesen Gutachten gefragt, zwei Tage später habe ich eine Kopie auf dem Schreibtisch. Auch wenn der Exminister inzwischen längst in der Privatwirtschaft gelandet ist, hat er wohl Freude daran, seine früheren politischen Gegner zu ärgern. Und gute Kontakte ins Ministerium, denn dass er die Gutachten über zehn Jahre daheim aufgehoben hat, ist doch recht unwahrscheinlich.
Leider ist der Text der Gutachten schrecklich technisch, es wird viel berechnet und erwogen und abgewogen. Aber ich finde dann doch einige griffige Sätze, die sich zitieren lassen. Zuwachs an CO 2Ausstoß, viel zu hohe Kosten, da ohnehin sehr nahe auf slowakischem Gebiet eine Autobahn entstehe. Die ist inzwischen längst fertig und die Slowakei ein Teil der EU . Und trotzdem: Durch das Weinviertel wird eine Schneise geschlagen.
Karla Seefeld mailt, sie werde mich vom Flughafen abholen, und bittet mich um die genaue Ankunftszeit. Eigentlich habe ich gar keine Lust mehr, nach Moskau zu fliegen. Mein Leben verläuft zum ersten Mal seit Wochen wieder in ruhigen Bahnen, und irgendwie, ich gebe es zu, bin ich für das ruhige Leben, Außerdem erinnert mich die Mail an ein Problem, das ich seit Tagen konsequent verdrängt habe: Auch wenn ich in der Redaktion herumerzählt habe, dass ich einige Tage Urlaub in der Therme mache, Oskar muss ich wohl doch sagen, wohin ich fahre. Auch von Manninger ist eine Mail gekommen. Er freue sich, wenn ich bei ihm im » MO « vorbeischaue. Ich werde versuchen, Oskar einzureden, dass ich in erster Linie Manninger besuchen will. Und in zweiter Linie mit Karla Seefeld über russische Oligarchen und Wirtschaftsbeziehungen reden möchte. Ganz unabhängig vom Fall Dolochow. Einfach weil es interessant sei. Ein Thema. Eine mögliche Reportage. Und wer sagt, dass ich nicht wirklich genau das in Moskau tun werde? Ob ich allerdings Oskar davon überzeugen kann?
Er hat ein Meeting in Salzburg, er kommt erst nach Mitternacht heim.
Und jetzt ist wirklich der letzte Tag, an dem ich es ihm sagen kann. Morgen geht mein Flugzeug. Ich bin den ganzen Tag über in der Redaktion unleidlich. Der Chefredakteur verspricht mir allen Platz, den ich brauche, für meine Russen-Reportage aus Moskau. Er soll sich nicht zu viel erhoffen.
Ich habe Angst vor einer Aussprache mit Oskar, vor einer Szene, vor neuen falschen Versprechungen. Es wird besser sein, wir treffen uns in einem Lokal, ein gutes Abendessen zu zweit, und dann …
Menüdessert. Schoko-Kardamom-Mousse mit Mango. Wir sitzen in einem Eck dieses neuen gefeierten Lokals, ich habe versucht, mich auf das Essen zu konzentrieren. Aber heute ist es mir schon wieder nicht gelungen. Moskau. Dolochow, der deutlich früher von »Direktinvest« wusste, als er mir gegenüber zugegeben hat. Aber warum sollte er mir alles erzählen, was er weiß? Er spielt sein eigenes Spiel, das jedenfalls. Moskau. Der Rote Platz, ich will ihn schon lange sehen. Moskau. Ob man im » MO « noch besser isst als hier? Sicher. Oskar lobt das Schoko-Kardamom-Mousse. Wirklich fein. Kann ich nicht einfach morgen wegfliegen und ihn per SMS um Entschuldigung bitten? Du hast ihm den Heiratsantrag per SMS gemacht, erinnere dich, Mira. Damals warst du nicht mehr ganz nüchtern. Ohne diese SMS – wären wir jetzt verheiratet? Und: Was macht es für einen Unterschied, verheiratet zu sein oder nicht? Wir gehören zusammen. Wir haben nur manchmal recht unterschiedliche Vorstellungen vom Leben, Nein, nicht einmal das ist wahr. Oskar hat eine andere Vorstellung von meinem Leben zumindest ab und zu. Jetzt aber sicher. Mir fällt nicht ein, wie ich ihm meine Moskaureise beibringen soll. Und ihm klarmachen kann, dass sie ganz harmlos ist. So auf die Art, dass ich nur mal schnell den Roten Platz sehen und Manninger Hallo sagen möchte …
»Möchtest du noch etwas?«, fragt Oskar.
Ich versuche zu lächeln und schüttle den Kopf. Oskar bittet um die Rechnung. Ich hole Luft.
»Ich fliege nach Moskau«, sage ich.
Oskar starrt mich an.
»Morgen«, füge ich schon recht kleinlaut hinzu.
»Na dann guten Flug«, sagt Oskar, und sein Mund ist nur noch ein Strich.
»Ich hab mich nicht getraut, es dir früher zu sagen«, jammere ich, es hört sich schrecklich an. »Ich weiß ja, was
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