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Russen kommen

Russen kommen

Titel: Russen kommen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Rossmann
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Seitengang, der zur Tiefgarage führt. Er hat einen großen Plastiksack auf dem Schoß. Wir öffnen die Tür zur Tiefgarage, niemand zu sehen. In der Nische hinter dem Eingang ziehe ich die Weste an, setze das Kopftuch auf. Ich habe es auf der Toilette geübt, aber es ist gar nicht so einfach ohne Spiegel. Ich setze die Brille auf.
    »Du siehst grauenvoll aus«, sagt Droch. »Taliban-Dragoner.«
    Ich packe die Griffe seines Rollstuhls, wir bewegen uns aus dem Eck der Tiefgarage wieder zurück in den Gang. Zum Glück sehe ich im Foyer des »Magazins« nur die neue Empfangsdame, die uns noch kaum kennt, und einen Fahrradboten, der ihr ein dickes Kuvert entgegenhält. Ich beäuge den Mann trotzdem misstrauisch. Jeder kann ein Agent sein. Oder etwas Ähnliches. Hm. Oder er ist einfach ein Fahrradbote.
    Wir rollen nach draußen, die Straße entlang. Meine kleine Reisetasche ist jetzt in Drochs großem Plastiksack.
    »Nicht so schnell«, sagt Droch. Mist. Beinahe hätte ich ihn über die Gehsteigkante befördert. Ich bremse, er bremst mit, wir vermeiden gerade noch einen Unfall, und es geht weiter.
    »Glaubst du, dass mich jemand verfolgt?«, frage ich drei Gassen weiter. Hier ums Eck ist ein Taxistandplatz.
    »Ich hab keinen Rückspiegel«, knurrt mein alter Freund. »Pass bloß gut auf dich auf in Moskau.«
    Ich schiebe den Rollstuhl um die Straßenecke, sehe mich so unauffällig wie möglich um und stoppe neben einem Taxi.
    »Danke«, sage ich zu Droch, »du bist ein wirklicher Freund. Und wenn was passiert, dann sag Oskar …«
    »Was?«
    »Nichts.« Ich steige samt Verkleidung ins Taxi. Ich habe einen netten Lenker aus meinem neuen Kulturkreis erwischt. Er sieht sich um und redet mich in einer Sprache an, die ich für Türkisch halte.
    »Zum Flughafen, bitte«, sage ich in astreinem Deutsch. Die weitere Fahrt über reden wir kein Wort mehr. Zum Dank gebe ich ihm fünf Euro Trinkgeld.
    Ich habe mich am Flughafen so schnell wie möglich umgezogen, die alte Weste habe ich in einer Ecke der Toilette liegen lassen. Es tut mir leid um sie, sie ist warm, aber genau betrachtet habe ich sie in den letzten fünf Jahren nie getragen. Ich checke ein, wie immer mit leichtem Herzklopfen, ob alles gut geht. Der Platz ist reserviert, meinen neuen Pass habe ich auch mit, samt Visum-Eintrag.
    Passkontrolle, Sicherheitskontrolle, Handgepäckkontrolle. Am besten, ich warte direkt am Gate. Der Flug geht ohnehin schon in einer knappen Stunde. Ich sitze und sehe zum hundertsten Mal auf dem Mobiltelefon nach, ob sich Oskar gemeldet hat. Ich hab ihm gestern gesagt, niemand soll wissen, dass ich in Moskau bin. Vielleicht ist er bloß vorsichtig? Mach dir nichts vor, Mira. Mein Flug wird aufgerufen. Schlange vor dem Schalter, an dem die Stewardessen die Bordkarten kontrollieren. Ich lasse mir Zeit.
    »Ich liebe dich. Bitte kümmere dich um Gismo«, tippe ich, und bevor ich es mir anders überlegen kann, drücke ich auf »Senden«. Dass ich meinem Oskar Liebeserklärungen und Heiratsanträge über SMS mache … Aber Schreiben fällt mir eben oft leichter als Reden. Hm. Gibt böse Zungen, die meinen, mir fällt Reden auch nicht eben schwer. Ich fühle mich erleichtert. Falls ich abstürzen sollte, falls mir etwas zustoßen sollte: Oskar weiß, dass ich ihn liebe. Das ist ausnahmsweise die Wahrheit und nichts als die reine Wahrheit. Und er weiß, dass er sich um Gismo kümmern soll.
    Ich sitze neben einer älteren Frau, die mir sofort in gebrochenem Deutsch erzählt, dass sie in Wien ihre Tochter besucht habe, das Mädchen sei hier verheiratet. Jetzt fliege sie wieder heim. Sie wirkt nicht wie eine Geheimagentin. Nicht wie eine, die Molotowcocktails in Reinigungsfirmen wirft und Drohungen schreibt. Aber wie wirken die?
    Ich sehe mich um. Ich versuche mich auf die Bordzeitung zu konzentrieren. Ich lese Seite für Seite. Warum fliegen wir noch immer nicht ab? Wir hätten schon vor dreißig Minuten starten sollen. Was ist nicht in Ordnung?
    Die Stimme des Captains. Er entschuldigt sich für die Verzögerung, teilt uns mit, dass er nun auf einen anderen »Slot« warten müsse, aber hoffe, dass wir innerhalb der nächsten Viertelstunde starten könnten.
    Okay, so etwas ist ganz normal. Hoffentlich stimmt es, hoffentlich ist alles mit dem Flieger in Ordnung. Ich verreise an sich gerne mit dem Flugzeug, aber ganz ohne Misstrauen bin ich nie. Ich kenne einen Flugzeugmechaniker, der fliegt äußerst ungern. Er wird wissen, warum.
    Ich blättere weiter.

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