aber trotzdem. Und die vielen Abende, die er dienstlich unterwegs ist. Wie viele Frauen gibt es, die damit umgehen können? Ich aber verstehe es. Ich setze mich aufs Bett und vergrabe das Gesicht in meinen Händen. Sei ehrlich, Mira, du bist ja auch viel unterwegs. Steht der Trip nach Moskau dafür, wenn du Oskar verlierst? Sicher nicht. Aber dann springe ich wieder auf. Es geht um etwas anderes. Ich treffe meine eigenen Entscheidungen. Und wenn er das nicht akzeptieren kann, dann … – Was dann?
Ich bin im »Magazin«. Mein Flug geht erst am frühen Nachmittag. Wie komme ich unerkannt aus dem Haus? So, dass mich keiner verfolgen kann? Keine Nachricht von Oskar. Ich habe vier-, fünfmal eine SMS geschrieben und sie dann wieder gelöscht. Droch hat mit Karla Seefeld telefoniert. Sie freue sich auf mich. Ich hoffe, ich bringe die Russland-Expertin nicht in Schwierigkeiten. Sie ist nicht mehr die Jüngste. Es wird eine viel einfachere Erklärung für den ganzen Fall geben als gedacht. Ganz einfach? Dolochow hat seinen Bruder ermorden lassen, weil er ihm in seine Strategien gepfuscht hat. Sind alle Russen böse? Wie komme ich unbeobachtet zum Flughafen? Mein Auto steht in der Tiefgarage der Redaktion. Vesna soll es am Nachmittag in eines der steirischen Thermenhotels fahren. Valentin wird nachkommen, sie werden dort übernachten. Vesna meint, das sei für sie vielleicht die einzige Chance, den Brandgeruch von ihrem Körper zu bekommen: ein mehrstündiges Bad in warmem Thermalwasser. Wir haben vereinbart, dass ich mich aus Moskau nur in ganz wichtigen Fällen per Mobiltelefon melde. Ansonsten soll der Kontakt über Karla Seefeld laufen. Ich habe mir extra eine Hotmail-Adresse eingerichtet:
[email protected]. Etwas Besseres ist mir nicht eingefallen. Passwort: Oskar. Es ist immer noch Oskar.
Droch rollt durch meinen Dschungel zu mir.
»Vielleicht könnte ich mir deinen Rollstuhl ausleihen?«, überlege ich.
»Wie bitte?«
»Ich muss das Haus verlassen, ohne dass es jemandem auffällt.«
»Rollstuhlfahrer sind nicht eben unauffällig, solange sich die Mehrheit der Menschen nicht zu dieser bequemen Fortbewegungsart entschließt«, spöttelt Droch. »Bleib auf dem Teppich. – Wenn Karla Zeit hat, wird sie nachsehen, ob deine Russen in Moskau aufzutreiben sind. Und ob irgendjemand schon einmal etwas von ›Direktinvest‹ gehört hat. In vier Tagen bist du dann wieder daheim. Sie soll mit dir essen gehen, hab ich ihr gesagt. Russische Küche, das wird dich doch interessieren?«
In einer halben Stunde muss ich los. Mit oder ohne Rollstuhl. Vielleicht eine Verkleidung … Mir kommt eine neue Idee: Krankenschwester. »Ich verlasse das Haus als deine Krankenschwester. Ich schiebe deinen Rollstuhl.«
»Und es fällt keinem da in der Redaktion auf, dass du die Krankenschwester bist? Und keiner kann sich erinnern, dass ich meinen Rollstuhl für gewöhnlich ganz gut selbst bewegen kann?«
»Es geht nicht um die Leute vom ›Magazin‹, die glauben, ich fahre in ein Thermenhotel. Es geht um jemanden, der auf der Straße auf mich warten könnte.«
Droch sieht mit einem Mal ernst aus. »Wer?«
Ich schüttle den Kopf. »Ich weiß es nicht, es ist nur eine Vorsichtsmaßnahme. Ich habe noch diese alte Wolljacke hier. Wenn ich darunter einiges anziehe, wirke ich gleich ganz anders. Na ja, eben noch etwas übergewichtiger.«
»Mira, du bist nicht übergewichtig.«
»Ich könnte meine Brille aufsetzen, die ich nie nehme. Dazu vielleicht ein Kopftuch.«
»Keine Krankenschwester trägt heutzutage noch ein Kopftuch.«
»Wenn sie Moslem ist, dann schon.«
Droch stöhnt. »Mira, die moslemische Krankenschwester. Und ich dachte mir, so etwas fällt nur deiner Freundin Vesna ein.«
»Nein. Aber es würde ihr gefallen.«
»Das ist zu befürchten.« Zwanzig Minuten später gehe ich durch das Großraumbüro, verabschiede mich von Peter, der weiter dranbleibt, sollte die Polizei irgendetwas im Dolochow-Fall sagen wollen, und von einigen anderen. Ich strahle, sage, wie sehr ich mich auf die paar ruhigen Tage in der Therme freue, die hätte ich mir wirklich verdient.
»Wo fährst du eigentlich genau hin?«, fragt Evelyn.
Ich lächle sorglos. »Weiß ich noch nicht, ich fahre einfach die Thermenstraße entlang und nehme das Hotel, das mir am sympathischsten ist. Ich hab mich bei den vielen Hotelprospekten einfach nicht entscheiden können. Aber ich lasse es mir gut gehen, das ist sicher.«
Droch erwartet mich im Parterre am