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Russendisko

Titel: Russendisko Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kaminer,Wladimir
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gesehen hatte, voraussehen können. Allerdings befand Marina, dass sie verhext sei, nämlich von der verstorbenen Mutter ihres ersten Mannes, und dass sie bestimmt sterben müsse, wenn es uns nicht gelänge, für sie in Berlin eine Hexe zu finden, die sie wieder fit machte. Da ich mich auf dem Hexensektor überhaupt nicht auskannte, wandte ich mich an einen Freund, der bei uns in der Familie als
    ortskundig galt. Er schlug gleich zwei Hexen vor, die seiner Meinung nach dieser Aufgabe gewachsen seien: eine chinesische und eine afrikanische.
    Frau U Ti empfing ihre Kundschaft in einer Gemeinschaftspraxis für Heilmedizin. Die Art der Zauberei, die sie ausübte, hieß Kinesiologie. Für DM 30,- beanspruchte sie, bald zu wissen, was Marina fehlte. Dazu nahm sie Marinas Hände und befragte ihre Muskeln auf Deutsch mit leicht chinesischem Akzent. Die russischen Muskeln reagierten leise und geschwächt. Trotzdem konnte Frau U Ti sie sehr gut verstehen. Nachdem sie sich mit Marinas sämtlichen Gliedern gründlich unterhalten hatte, schlug sie vor, für nur DM 60,- einen Heilextrakt für ihren armen Körper zusammenzustellen. Marina legte sich hin, Frau U Ti stellte verschiedene Gläschen auf ihre Brust und fragte jedes Mal den Körper, ob es die richtige Medizin sei. Nachdem die passende gefunden worden war, ging es Marina sogleich besser. Sie lachte sogar mit uns und war einige Tage fröhlich. Doch von der Hexerei war sie enttäuscht. Sie hatte sich etwas anderes darunter vorgestellt. So beschlossen wir, uns auch noch an die afrikanische Hexe zu wenden. Sie empfing uns nicht in einem Keller, wo lauter Schädel auf dem Boden herumlagen, sondern in einer Berliner Dreizimmerwohnung mit Parkettboden und Polstergarnitur. Gleich an Marinas Augen stellte sie fest, dass unsere Freundin von Dämonen besessen war. Sie bot uns für DM 200,- ein sicheres und seit Jahrhunderten erprobtes Mittel an, die so genannte Melonenzeremonie. Dabei wird der Patientin unter Gesängen eine Melone auf den Bauch gebunden, mit der sie sich dann einen Tag und eine Nacht lang ins Bett legen muss. Die Krankheit wandert unterdessen in die Frucht, und wenn die Patientin diese schließlich am Boden zerschmettert, wird auch der Dämon zerschellen. Das war uns dann doch zu exotisch, und wir verschwanden.
    Die heile Welt der Magie ist genauso eng wie die unsere. Eine
    Woche später bekamen wir einen Anruf von einer bereits über alles informierten jugoslawischen Hexe. Als Beweis dafür, dass Marina verhext sei, schlug sie vor, ein Küchenmesser in einen Topf mit Wasser zu legen, diesen unter ihrem Bett über Nacht stehen zu lassen und am nächsten Tag in den Topf zu schauen. Wenn sich das Wasser verflüchtigt hatte, bedeutete das, die böse Macht betrat das Schlafzimmer und trank. Das Messer muss in dem Fall aus dem Fenster geworfen werden. Trifft es mit der Spitze auf die Erde, wird Marina geheilt. Da sie im 11. Stock eines Neubaus wohnt und unten immer Kinder spielen, traute sie sich nicht, das Messer aus dem Fenster zu werfen.
    Für gerade mal DM 900,- bot die jugoslawische Hexe ihr stattdessen ein bis jetzt unübertroffenes Heilungsprogramm an: Marina sollte ihr eines ihrer Unterhöschen geben, mit diesem wollte sie dann nach Jugoslawien fahren und es dort in fünf verschiedenen Klöstern von fünf Priestern segnen lassen. Dann würde sie das Höschen zurückbringen, und Marina müsste es vierzehn Tage und vierzehn Nächte tragen. Daraufhin würde Marinas Mann auf dem schnellsten Wege wieder bei ihr aufkreuzen. »Aber ich will gar nicht, dass er zurückkommt«, erwiderte Marina, »außerdem ist in Jugoslawien doch Krieg!« Davon wusste die Hexe nichts. Wir gingen nach Hause, Marina war verunsichert: »Ob sie überhaupt mit meinem Höschen zurückgekommen wäre?« Ich antwortete nicht. Die heile Welt der Magie war für uns erst einmal erledigt.
    Suleyman und Salieri
    Mediendebatten hinterlassen doch Spuren im wirklichen Leben, dieses kleine Wunder habe ich vor kurzem entdeckt. In den Medien wird ein Thema aufgegriffen, ein Problem behandelt, wobei eine seriöse Zeitung eben ein seriöses Problem wie Ausländerfeindlichkeit und ihre Auswirkungen auf die Gesellschaft nimmt, eine weniger seriöse Zeitung greift ein weniger ernsthaftes Thema auf: »Wie reduziere ich mein Gewicht?« oder Ähnliches. Nun muss das Problem ausdiskutiert werden. Dafür braucht man mindestens zwei grundsätzlich verschiedene Meinungen. Zum Beispiel: »Man reduziert die

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