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Russendisko

Titel: Russendisko Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kaminer,Wladimir
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jedoch keinen Einzigen. Nachdem alle fünf zu riesengroßen Hunden herangewachsen waren, verlor Katja jegliches Interesse an ihnen. Sie teilte die Wohnung mit Eisengittern und Maschendraht auf: Den einen Teil, der auch das Badezimmer einschloss, übernahmen die Hunde, in der anderen Hälfte widmete sich Katja ihren Pflanzen, die sie sich inzwischen gekauft hatte. Sie schaffte das Unmögliche: Nach einem halben Jahr sah ihr Zimmer wie ein Urwald aus. Nur die dazugehörigen Singvögel konnten sich nicht einleben. Sie fielen einem überraschenden Shar-Pei-Angriff zum Opfer. Um ihren heimischen Urwald neu zu beleben, widmete sich Katja dem Kinderkriegen. Sie musste lange dafür kämpfen. Zum einen mit ihren Ärzten - einen verklagte sie sogar, weil er an ihrer Fähigkeit, schwanger zu werden, gezweifelt hatte. Zum anderen mit ihrem eigenen Mann, der sich jedoch schon gar nicht mehr in die Wohnung traute und seit über einem Jahr nicht mehr auf dem Klo gewesen war. Katja überwand alle Hindernisse mit Bravour. Nun wachsen bereits zwei Babys in Katjas Urwald auf, zwei Mädchen: Deborah und Susann. Sollten sie es schaffen jemals erwachsen zu werden, werden sie bestimmt über prächtige Lebensqualitäten verfügen. Tarzan und Jane würden sich vor Neid und Missgunst an der nächsten
    Liane aufhängen.
    Gesch ä ftstarnungen
    Einmal verschlug mich das Schicksal nach Wilmersdorf. Ich wollte meinem Freund Ilia Kitup, dem Dichter aus Moskau, die typischen Ecken Berlins zeigen.
    Es war schon Mitternacht, wir hatten Hunger und landeten in einem türkischen Imbiss. Die beiden Verkäufer hatten augenscheinlich nichts zu tun und tranken in Ruhe ihren Tee. Die Musik aus dem Lautsprecher kam meinem Freund bekannt vor. Er erkannte die Stimme einer berühmten bulgarischen Sängerin und sang ein paar Strophen mit. »Hören die Türken immer nachts bulgarische Musik?« Ich wandte mich mit dieser Frage an Kitup, der in Moskau Anthropologie studierte und sich in Fragen volkstümlicher Sitten gut auskennt. Er kam mit den beiden Imbissverkäufern ins Gespräch.
    »Das sind keine Türken, das sind Bulgaren, die nur so tun, als wären sie Türken«, erklärte mir Kitup, der auch ein wenig bulgarisches Blut in seinen Adern hat. »Das ist wahrscheinlich ihre Geschäftstarnung.« »Aber wieso tun sie das?«, fragte ich. »Berlin ist zu vielfältig. Man muss die Lage nicht unnötig verkomplizieren. Der Konsument ist daran gewöhnt, dass er in einem türkischen Imbiss von Türken bedient wird, auch wenn sie in Wirklichkeit Bulgaren sind«, erklärten uns die Verkäufer. Gleich am nächsten Tag ging ich in ein bulgarisches Restaurant, das ich vor kurzem entdeckt hatte. Ich bildete mir ein, die Bulgaren dort wären in Wirklichkeit Türken. Doch dieses Mal waren die Bulgaren echt. Dafür entpuppten sich die Italiener aus dem italienischen Restaurant nebenan als Griechen. Nachdem sie den Laden übernommen hatten, waren sie zur Volkshochschule gegangen, um dort Italienisch zu lernen, erzählten sie mir. Der Gast erwartet in einem
    italienischen Restaurant, dass mit ihm wenigstens ein bisschen Italienisch gesprochen wird. Wenig später ging ich zu einem »Griechen«, mein Gefühl hatte mich nicht betrogen. Die Angestellten erwiesen sich als Araber.
    Berlin ist eine geheimnisvolle Stadt. Nichts ist hier so, wie es zunächst scheint. In der Sushi-Bar auf der Oranienburger Straße stand ein Mädchen aus Burjatien hinter dem Tresen. Von ihr erfuhr ich, dass die meisten Sushi-Bars in Berlin in jüdischen Händen sind und nicht aus Japan, sondern aus Amerika kommen. Was nicht ungewöhnlich für die Gastronomie-Branche wäre. So wie man ja auch die billigsten Karottenkonserven von Aldi als handgeschnitzte Gascogne- Möhrchen anbietet: Nichts ist hier echt, jeder ist er selbst und gleichzeitig ein anderer.
    Ich ließ aber nicht locker und untersuchte die Lage weiter. Von Tag zu Tag erfuhr ich mehr. Die Chinesen aus dem Imbiss gegenüber von meinem Haus sind Vietnamesen. Der Inder aus der Rykestraße ist in Wirklichkeit ein überzeugter Tunesier aus Karthago. Und der Chef der afroamerikanischen Kneipe mit lauter Voodoo-Zeug an den Wänden - ein Belgier. Selbst das letzte Bollwerk der Authentizität, die Zigarettenverkäufer aus Vietnam, sind nicht viel mehr als ein durch Fernsehserien und Polizeieinsätze entstandenes Klischee. Trotzdem wird es von den Beteiligten bedient, obwohl jeder Polizist weiß, dass die so genannten Vietnamesen mehrheitlich aus der Inneren

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