Russendisko
ihm das nicht seltsam vorkomme? »Nicht sehr.« »Ich bin auf Ilona überhaupt nicht böse«, sagte Sergej am Telefon. »Wenn sie sich meldet, sagen Sie ihr bitte, sie soll kurz vorbeikommen und mir ihren Kopf zeigen. Sonst komme ich zu ihr und schaue mir die Mäuse selbst an. Ein spezielles Werkzeug habe ich nicht, aber ein Beil tut es ja auch«, sagte er und legte auf. Wir warteten den ganzen Tag, aber Ilona kam nicht. Schließlich kreuzte sie bei ihrem Arbeitgeber auf. Mit uns wollte sie jedoch nicht reden und wurde auf einmal sehr aggressiv. Als Sergej drohte, ihr die Mütze vom Kopf zu reißen, erzählte sie uns endlich die Wahrheit: Nachdem im Saarland ihr Asylantrag abgelehnt worden war, hatte ihr ein medizinisches Institut einen Deal vorgeschlagen. Sie sollte ihren Körper für irgendwelche ungefährlichen Experimente zur Verfügung stellen, und das Institut wollte sich im Gegenzug darum bemühen, dass Ilona eine Aufenthaltserlaubnis bekäme. Zunächst willigte sie ein. Und man implantierte ihr irgendwelche Mess- und Speicherdinger in den Kopf, dazu bekam sie Medikamente. Nach einer Weile bekam sie Angst und floh aus der Klinik. Die Männer in der Wohnung waren laut Ilona die saarländischen Ärzte, die ihre kostbaren Geräte zurück haben wollten. Ihre verdammte Mütze nahm sie trotz allem nicht ab, doch mittlerweile bestand auch keiner von uns mehr darauf.
Langweilige Russen in Berlin
Meine Kollegin, die Journalistin Helena, hat einen gefährlichen Job. Im Auftrag einer in Berlin erscheinenden russischen Zeitung schreibt sie jede Woche die Kolumne »Interessante Menschen in Berlin«. Die ganze Zeit ist Helena in der Stadt unterwegs, um die »interessanten Russen« aus den trüben Gewässern Berlins rauszufischen. Das »Interessanteste« an diesen Russen ist, dass sie sich gleich nach dem ersten Interview unsterblich in Helena verlieben und sie nicht mehr in Ruhe lassen. Die junge Journalistin interessiert sich aber eigentlich nur beruflich für die »Interessanten«, privat steht sie viel mehr auf normale ruhige Typen, die mit beiden Beinen auf dem Boden der Tatsachen stehen. »Diese interessantem haben alle eine Macke«, beschwert sie sich oft, »aber das macht sie wahrscheinlich interessant.«
Neulich hatte Helena wieder einen tollen Fall, Herrn Brukow. Er unterrichtet an der Volkshochschule Friedrichshain eine Disziplin, die er selbst erfunden hat. Sein VHS-Kurs trägt den Namen »Castaneda-Weg«. Dieser Weg besteht nach Angaben des Lehrers aus drei Teilen: Der erste basiert auf den persönlichen Kampfsporterfahrungen des Herrn Brukow, die er seinerzeit bei einer Spezialeinheit des sowjetischen Innenministeriums in Magadan erwarb. Der zweite hat etwas mit Zen-Yoga zu tun, und der dritte besteht aus der Vermittlung des Lebensweges von Carlos Castaneda. Nachdem Helena sich zu einem Interview mit Herrn Brukow verabredet hatte, drehte der Lehrer voll auf. Mehrere Tage lang beschattete er ihre Wohnung im Prenzlauer Berg, angeblich, um Helena vor bösen Geistern zu schützen - tatsächlich aber wohl eher vor anderen interessanten Russen. Außerdem wollte er ihr unbedingt eine Massage verpassen, weil sie sich seiner
Meinung nach absolut falsch bewegte. Es kam aber noch besser: Brukow bestand darauf, Helena seinen letzten Roman vorzulesen, der Backsteinformat und einen langen Titel hatte: »Esoterisch-wissenschaftlicher Roman aus dem außerkörperlichen Leben«. »Sie sind sicher ein sehr, sehr interessanter Mensch, Herr Brukow«, sagte Helena zu ihm, »und ich würde mich gerne öfter über die Probleme des außerkörperlichen Lebens unterhalten. Aber wenn Sie mir noch einmal an den Bauch fassen, werde ich nie wieder was über Sie schreiben.«
Ein anderer »interessanter Russe«, ein authentischer Maler aus Karaganda, folgt Helena bereits seit über einem Jahr auf Schritt und Tritt. Auch über ihn schrieb sie damals einen Artikel mit dem Titel: »Die Einsamkeit des Künstlers«. Nun hat er sogar schon ihren Briefkasten mit Blumen bemalt und an der Hauswand gegenüber in riesigen Buchstaben zweideutige Bemerkungen hinterlassen.
Und dann gibt es da noch den berühmten Hundezüchter Goldmann aus Alma Ata, der sie eines Nachts in ihrem Hausflur fast zu Tode erschreckt hatte, weil er Helena mit einer neuen gerade von ihm gezüchteten Hunderasse überraschen wollte. So wie zuvor auch schon der Briefmarkensammler Minin, der in der Welt der Philatelie eine wahre Berühmtheit darstellt und ihr unbedingt seine
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