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Russische Freunde

Russische Freunde

Titel: Russische Freunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Lutz
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Polizei handelte. Nicht nötig also, dass andere beobachteten, wie ich mich an dem Kasten zu schaffen machte. Obschon die Familie, die sich umständlich darum bemühte, alle ihre Kleinkinder wieder in Kleider und Schuhe zu stecken, ganz offensichtlich mit anderem beschäftigt war.
    Sobald ich allein war, öffnete ich Juris Schrank. Duschmittel, Badeschlappen, ein russischer Roman. Zwei Toilettentaschen im oberen Fach, in der ersten befanden sich wie erwartet Badeartikel. Im zweiten Beutel fand ich nichts ausser einem robusten braunen Briefumschlag. Ich warf einen Blick hinein und hielt die Luft an. Das Couvert war mit Geld gefüllt. Prall gefüllt. Mit Tausendfrankenscheinen.
    Die Garderobe war immer noch leer. Reflexartig schob ich das Couvert in mein feuchtes Handtuch. Kaum hatte ich den Schrank wieder geschlossen, wurde plötzlich die Tür aufgestossen, und zwei jüngere Männer kamen herein. Ich sah sie nur aus den Augenwinkeln, als ich den Raum verliess, das feuchte Handtuch mit dem Couvert gegen die Brust gedrückt.
    Ich suchte die Portugiesin und fand sie in der Damensauna, wo sie mit einem Gummischrubber Wasserpfützen Richtung Ausguss beförderte. Ich gab ihr den Schlüssel zurück und sagte, dass sich nur Toilettenartikel im Schrank befänden, nichts wirklich Persönliches. Dann erklärte ich ihr, dass wir besser abwarten sollten, ob die Polizei den Schrank sehen wollte. Sie nickte mir zu, und ich ging. Um das Bad zu verlassen, schloss ich mich einer grösseren Gruppe an. Die Dame an der Kasse war zu beschäftigt, um zu sehen, wie ich mich durch die Absperrung drückte. Zwei Männer, vielleicht die beiden aus der Garderobe, beobachteten mich bei meinem Manöver, sagten aber nichts.
    Es war etwas wärmer geworden, und die Sonne schien blass durch die Wolken, als ich ins Freie trat. Ich brachte das alles nicht auf die Reihe. Das Geld befand sich jetzt in meiner Plastiktasche, neben dem feuchten Handtuch und dem nassen Badeanzug. Ich hatte instinktiv gehandelt und einen Blödsinn gemacht, das wusste ich. Es war beunruhigend, aber es fühlte sich auch gut an, das Geld. Trotzdem musste ich mir überlegen, was ich nun unternehmen wollte.
    Manchmal hilft es, wenn ich mich bewege. Ausserdem wollte ich alleine sein und das Couvert untersuchen. Ich studierte die gelben Wanderschilder in der Dorfmitte und lief dann los in Richtung Thermalquellenweg. Auf wackeligen Metallbrücken und über Holzstege führte er in eine Schlucht. Ich begann zu rennen, plötzlich süchtig nach Bewegung, es tat so gut. So stürmte ich in die Schlucht, unter mir toste ein Bach. Bis ich ausser Atem stehen bleiben musste. Ich stützte mich auf das Geländer und starrte auf die Wassermassen unter mir. Der Lärm des stürzenden Wassers schluckte alle Geräusche, das Rauschen tat mir wohl. Was blieb, war eine diffuse Angst. Ich hatte Angst. Etwas mir völlig Unverständliches spielte sich ab.
    Hinter dem Wasserfall am Ende der Schlucht weitete sich das Bergtal. Die Bewegung hatte meine Anspannung ein wenig gelöst, die Wildheit der Umgebung hatte mich beruhigt. Ich suchte mir abseits des Weges einen einsamen Platz. Ein paar Meter oberhalb des ausgeschilderten Wanderpfads fand ich, umgeben von Tannen und Gestrüpp, eine flache Mulde. Dort wickelte ich den etwas feucht gewordenen braunen Umschlag aus dem Badetuch.
    Es war viel Geld. Ich hatte ungefähr die Hälfte gezählt und war schon bei fünfzigtausend Schweizer Franken angelangt. Woher hatte Juri bloss das Geld? Da sind hunderttausend drin, dachte ich gerade, als ich unter mir auf dem Weg eine leise Stimme hörte. Auf dem Wanderweg unter mir standen die beiden Männer, die mich beim Badausgang beobachtet hatten. Ich hatte sie nicht kommen hören, und auch jetzt bewegten sie sich leise und vorsichtig wie Tiere und beobachteten die Gegend. Sie gingen ein paar Schritte weiter, dann trennten sie sich, einer blieb circa zehn Meter von mir entfernt stehen, der andere ging den Weg entlang weiter. Ich blieb erstarrt sitzen.
    «Die sind hinter mir her.»
    Mein Hirn war über diesem Satz eingerastet, ich atmete flach, kämpfte gegen eine unerträgliche Nervosität in meinen Handflächen und Beinen, fast schon ein ziehender Schmerz. Falls sie mich hier fanden, brauchte ich gar nicht erst davonzulaufen. Weil ich nicht in die Schlucht zurückwollte. Und am Berghang würden sie mich früher oder später einholen. Ich bewegte mich nicht, atmete kaum. Eine Ameise hatte sich an meinem Hals verirrt, sie

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