Russische Freunde
lokaler Geschäftsmann, vermutete ich, vielleicht der Bürgermeister, vielleicht der Geschäftsleiter des Bades. Sehr gepflegt, wellig geföhnte graumelierte Haare. Nervös. Mit einem misstrauisch abschätzenden Blick musterte er mich: «Warten Sie schon lange?»
«Nein, nein, kein Problem. Noch keine Minute, ich bin grad hereingekommen und sowieso, ich bin nicht pressiert. Mindestens in den Ferien sollte man doch Zeit haben», ich lächelte ihm vertrauensvoll in die Augen. Inzwischen war auch der ältere Polizist aufgetaucht und sah mich an.
«Ich wollte bloss schauen, aber vielleicht bin ich gar nicht richtig hier», ich stockte, immer noch auf der Suche nach einer Ausrede, «verkauft die Polizei nicht manchmal auch Fahrräder, solche, die gefunden wurden und nie abgeholt worden sind? Wir wollten mal schauen, ob wir nicht ein paar alte, gebrauchte Fahrräder finden könnten für unser Ferienhaus.»
Ich hatte kein Vertrauen in den Polizisten, nein, besser gesagt, ich traute seinem Besucher nicht. Da ging ich lieber zu Ricklin. Nachdem der Polizist meine Frage bedauernd verneint hatte, verliess ich den Posten. Das Geld knisterte in meiner Hose.
Immerhin hatte ich erfahren, dass Alexandre Pereira am Nachmittag freikommen würde. Ich ging auf die Suche nach der Portugiesin, und sie verriet mir seine Adresse. Direkt neben Pereiras Wohnblock fand ich ein Restaurant mit Terrasse. Jetzt, am späten Vormittag, erlaubte es die Sonne sogar, draussen zu sitzen. Das einzige, was den unerwarteten Sonnentag trübte, war ein Anruf von Petar, Juris russischem Freund aus Bern. Ich brachte es nicht über mich, ihm von Juris Tod zu berichten, nicht hier, nicht jetzt. Ich sagte ihm nur, dass ich gerade keine Zeit hätte zum Sprechen.
Insgesamt wartete ich beinahe vier Stunden auf Pereira. Deshalb bestellte ich mir, nach mehr als zwei Stunden Warten, ein Mittagessen. Wohl wissend, dass ich nur mit Juris Geld bezahlen konnte. Aber auf das musste ich sowieso zurückgreifen, auch für die Nächte in der Pension. Später nahm ich ein üppiges Dessert, zwei Cafés und wieder Wein. Womit ich auch den Kellner besänftigte, bevor ich ihm zum Zahlen einen Tausendfrankenschein entgegenhielt. Es war ja nicht viel, was ich mir vorübergehend ausborgte, höchstens dreihundert Franken, beruhigte ich mich, als mir der Kellner das Wechselgeld in die Hand drückte.
Gegen vier brachte ein Polizeiauto Alexandre Pereira. Fünf Minuten später läutete ich bei ihm, ich stellte mich als eine Freundin von Juri vor, und er bat mich herein. Noch bevor ich eine Frage stellen konnte, begann sich Pereira zu rechtfertigen. Er sass im Trainingsanzug am Küchentisch und triefte vor Selbstmitleid und Groll. Ich konnte die Sympathie der netten Portugiesin für Alexandre Pereira nicht verstehen, was aber vielleicht an der im Gefängnis verbrachten Nacht lag. Pereira war zu dick, ein Kranz von dunkeln Haaren umrundete seine Glatze. Den Schnauz trug er sicher, um männlicher zu wirken. Jedenfalls konnte ich mir eine Liebesgeschichte zwischen ihm und Juri nicht vorstellen. Schon deshalb nicht, weil Juri mit Balthasar Zeiler in Bern eine viel bessere Alternative hatte.
Aber seine Geschichte hatte glaubwürdig gewirkt, dachte ich, als ich zurück zur Pension Cordula ging. Pereira schien wirklich nichts über Juri zu wissen. Er hatte bestätigt, dass sie sich ein paar Tage vor dem Unglück abends in einer Bar begegnet waren. Die beiden hatten sich gut verstanden, vermutlich gab es nicht allzu viele Schwule in Leukerbad, also hatten sie zusammen ein Bier getrunken. Pereiras Erzählung stimmte mit dem überein, was ich auf dem Polizeiposten gehört hatte. Er hatte keinen Grund, Juri umzubringen. Was blieb, war die Möglichkeit, dass er Juri irrtümlich eingeschlossen hatte. Vielleicht hatte er ihm sehr wohl den Zugang ins Bad ermöglicht, zum Beispiel weil er Juri ganz gerne näher kennenlernen wollte. Und dann ein Missverständnis, vielleicht ein Unfall, und Pereira schloss ihn ein, ohne es zu wollen. Was aber noch keine Erklärung lieferte für die Einbrüche und das Geld.
8
Mein Zimmer in der Pension Cordula, ungeheizt, mit billigen Möbeln ausgestattet, zu nahe am Abhang gelegen, wirkte genau so wenig einladend wie am ersten Tag. Zwar war das Bett frisch bezogen und ein Bonbon lag auf dem Nachtkissen, die Verpackung interessanter als der Inhalt. Aber es war noch viel zu früh, um mich ins Bett zu legen. Ich sass im Lehnstuhl, die Beine auf dem Beistelltisch, und
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