Russische Freunde
dort, wo ich ihn stehengelassen hatte, neben einem Müllkübel an die Fensterscheibe gelehnt. Mein Haus lag im Finstern, und ich überlegte, ob ich von einem Versteck aus beobachten wollte, was sich tat. Es gab aber kein geeignetes Versteck, und es war zu kalt, um stundenlang im Freien herumzustehen. In Paduns Auto sitzenzubleiben, erschien mir erst recht riskant. Entschlossen ging ich auf mein Haus zu und stieg zu meiner Wohnung hinauf.
21
Seit viertel vor fünf wartete ich in der Nähe von Perrens Kanzlei. Ich stand, meine Hände unter die Achselhöhlen gesteckt, im Laubengang auf der gegenüberliegenden Strassenseite, vor den Auslagen einer Bäckerei. Meine Füsse waren eiskalt, und meine Nase triefte. Stossweise wurde ich von vorbeiziehenden Passanten angerempelt, dann wieder stand ich alleine. Schon zweimal war aus der Bäckerei jemand herausgetreten und hatte die Reklametafel neben mir zurechtgerückt. Durch die Scheibe hindurch betrachteten mich die Verkäuferinnen mit Misstrauen.
Endlich, ich stand schon länger als eine Stunde in der Kälte, trat Perren aus dem Haus. Er presste ein Telefon gegen sein Ohr und sah sich suchend um. Weiter oben überquerte ein Mann, ebenfalls am Telefon, die gepflasterte Strasse und lief auf Perren zu. Die beiden begrüssten sich und begannen in Richtung untere Altstadt wegzugehen. Ich setzte zur Verfolgung an. Schon nach hundert Metern verschwanden sie in einem Restaurant. Ich sah von aussen zu, wie sie von einem Kellner in Empfang genommen und an einem der hinteren Tische platziert wurden. Ich ging und wärmte mich in einem nahe gelegenen Tearoom auf. Als ich eine knappe halbe Stunde später beim Restaurant vorbeischlenderte, lag der Tisch verlassen da. Wenn ich auf diese Weise näher an Perren herankommen wollte, würde ich viel Geduld brauchen.
Sie wollte sich den Rest des Sticks anschauen, die Fotos, alles. Was sich Lisa genau davon versprach, hatte sie mir nicht verraten. Ich wollte ihr den Stick nicht überlassen, deshalb hatten wir uns für ein Treffen in meinem Büro verabredet.
Lisa sah sich in dem kleinen Raum um, wie auf der Suche nach einer Tür, die zum richtigen Büro führte. Immerhin hatte ich vor ihrer Ankunft die Kleider vom Boden genommen, sie in einer ordentlichen Beige aufgeschichtet und in eine Ecke gelegt. Die Wäscheleine spannte sich unbenutzt durch den Raum, war aber nicht sehr auffällig. Nach ein paar erstaunten Blicken schnappte sich Lisa kommentarlos den Laptop von der Kartonschachtel und setzte sich damit aufs Fensterbrett.
«Wo hast du den Stick?»
Ich gab ihn ihr.
«Darf ich das schliessen?», fragte mich Lisa. Ich warf einen Blick auf den Desktop. Die Webseite der Stiftung Caris, die ich mir vor Lisas Ankunft angesehen hatte, war noch offen. Sie hatten sich immer noch nicht gemeldet. Caris, das wusste ich seit eben, war eine Stiftung, die von einem Medikamentenhersteller finanziert wurde.
«Üble Sache, dieses Caris», murmelte Lisa.
«Ich habe mich bei ihnen um eine Stelle beworben», sagte ich, ziemlich leise.
«Jetzt aber nicht im Ernst. Die wollen doch nur ihr Image aufpolieren mit dieser Stiftung. Da finanzieren sie ab und zu ein kleines Sozialprojekt, und schon taucht ihr Logo überall auf, und immer in Verbindung mit einer guten Sache. Da kannst du sicher sein, die setzen ihren Schriftzug überall ins Zentrum. Stell dir vor, finanziell gesehen ist das für die doch ein Klacks. Sie sollen ihre Medikamente zu erschwinglichen Preisen verkaufen, und da rede ich nicht von hier. Vor allem in Entwicklungsländern machen sie Profite, um das geht es doch.»
Inzwischen wusste ich, dass Lisa, bevor sie zu MROS kam, bei Transparency International gearbeitet hatte. Natürlich war sie einer solchen Sache gegenüber kritisch eingestellt. Ich selbst hatte ja auch keine Lust auf einen Alibijob, aber die Aufgabe hatte so verlockend geklungen. Und die Frage, die sich wirklich stellte, war, ob ich eine Wahl hatte. Was das Arbeitsamt dazu meinte. Falls sie mich wollten.
Lisa beschäftigte sich mit Juris Stick. Ohne Laptop gab es für mich im Büro nichts zu tun, und sowieso, ich hätte mich auf den Boden setzen müssen. Ich ging in den Gang hinaus und wartete draussen. Auf den Treppenstufen sitzend, horchte ich auf die Geräusche im Haus. Das Verhältnis von Liftbenutzern zu Treppensteigern lag bei ungefähr drei zu eins zugunsten des Lifts. Am meisten Betrieb herrschte im zweiten Stock, wo sich die Praxen eines Zahnarztes und einer
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