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Russische Freunde

Russische Freunde

Titel: Russische Freunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Lutz
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Frauenärztin befanden. Die Eingangstür, fünf Stockwerke unter mir, fiel jedes Mal, wenn jemand das Gebäude verliess oder betrat, laut knallend zu. Der Luftzug war bis zu mir herauf spürbar. Nach einer Dreiviertelstunde Warten steckte ich den Kopf ins Büro: «Magst du einen Kaffee?»
    «Nescafé?»
    Ich nickte.
    «Nein. Danke.» Lisa hatte den Kopf kaum gehoben, versunken in ihre Arbeit. Sie hatte ein paar Blätter ausgedruckt, die ich mir ansah. Unter anderem die Adresse von Perrens Kanzlei in Bern, die Frau ging systematisch vor.
    Ich setzte mich noch einmal in den Gang.
    Einige Zeit später kam Lisa heraus: «Was machst du da?»
    Ich zuckte mit den Schultern.
    «Weisst du, was ich glaube?» Lisa lehnte sich mit gespreizten Beinen an den Türpfosten, «ich habe das Gefühl, dass der Stick gar nicht von Juri ist.»
    Lisa erklärte mir, die Powerpoint-Präsentation für die SECO -Tagung habe sie auf diese Idee gebracht. Sie zeigte mir die Folien mit vielen privaten Notizen des Redners, die so sicher nicht nach aussen abgegeben wurden. Dass Juri, Student im dritten Semester, zu einem Referat eingeladen worden war, hielt sie für unwahrscheinlich. Das und die Versicherungsdateien, von denen wir ja auch nicht wussten, wie Juri zu ihnen gekommen war. Ich sagte zu Lisa, er sei eigenartigerweise auch auf keinem der Fotos abgebildet. Was den Verdacht, dass der Stick gar nicht Juri selbst gehörte, erhärtete.
    «Falls es so ist, dann wollte vielleicht jemand einfach seinen eigenen Stick zurück», überlegte Lisa, «dann müsste irgendetwas drauf sein, was für diese Person wertvoll ist. Deshalb die Einbrüche.»
    «Möglicherweise die Fotos, vielleicht hängt der Besitzer an den Fotos, die er sonst nirgends gespeichert hat.»
    «Oder die Fotos sind kompromittierend. Wir müssen wissen, wem der Stick gehört hat. Und wer auf den Fotos abgebildet ist», ergänzte Lisa. Ich dachte sofort an die Südamerikabilder mit den jungen Mädchen.
    Lisa wollte sich erkundigen, wer an dieser SECO -Tagung referiert hatte. Ich merkte, dass sie den Stick gerne behalten hätte, aber ich rückte ihn nicht heraus. Immerhin fertigten wir eine Kopie für sie an.
    Diesmal wartete ich nicht vor der Bäckerei, sondern stellte mich in einen Eingang zu einem Spielwarengeschäft, direkt neben Perrens Tür. Und diesmal war ich ausgerüstet mit Wollsocken, mit einer Kappe und mit Lederhandschuhen. Kurz nach fünf verliess Perren die Kanzlei und lief mit schnellen Schritten hinter meinem Rücken vorbei. Ich liess ein paar Sekunden verstreichen und folgte ihm dann im dichten Gedränge der Lauben. Perren war in Richtung untere Altstadt unterwegs. Auf der Höhe des Rathauses bog er in eine Seitengasse ein, die weniger belebt war. Ich vergrösserte den Abstand, blieb aber an ihm dran, bis er in einem Hauseingang oder Geschäft verschwand.
    Ich wechselte die Strassenseite. Perren war in eine Galerie getreten, in der eine Vernissage stattfand. Im Raum hinter der breiten Glasfront drängten sich die Menschen. Es war nicht besonders schwierig, eine Person auf der Strasse zu verfolgen, stellte ich fest. Sie dann aber zu belauschen und zu erfahren, mit wem sie sich traf, war etwas anderes. Ich musste näher ran. Ich betrat die Galerie.
    Die Menschen, ein elegant gekleidetes, ältliches Publikum, standen dicht an dicht. Ich, in schäbiger Daunenjacke und Kappe und Handschuhe in den Händen, fiel auf. Ich blieb in der Nähe des Eingangs an der Glasfront stehen. Eine betagte Dame neben mir schien in ihrem eng anliegenden Wollkleid ebenfalls unter der Hitze und Enge zu leiden. Wir lächelten uns an. Perren sah ich nirgends.
    Ich überlegte noch, ob ich mich unter die Leute quetschen wollte, als mich ein Geräusch von aussen ablenkte. Eine gepflegte beige Limousine fuhr vor und blieb, allen Fahr-und Halteverboten zu Trotz, direkt vor der Galerie stehen. Eine Genfer Nummer, dreistellig. Die hintere Scheibe des Autos wurde heruntergelassen, und der ältere Mann, der dort sass, blickte durch die Glasfront in die Galerie herein. Kurze graue Haare im Bürstenschnitt, starke Augenbrauen über leicht asiatisch wirkenden Augen. Als er zum Chauffeur etwas sagte, sah ich seinen faltigen Hals. Ein alter Mann. Der Chauffeur stieg aus.
    Offensichtlich war das Auto von anderen Galeriebesuchern ebenfalls bemerkt worden, eine Dame mit Champagnerglas, vielleicht die Besitzerin der Galerie, stürzte hinaus, um den Herrn im Auto zu begrüssen. Andere folgten, ein junger Mann und

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