Russische Freunde
Nervosität bemerkte. Mit dem Lift fuhren wir hinunter in die Tiefgarage, es war eng, ich richtete meine Augen auf die Leuchtanzeige, die Stockwerke zogen vorbei, und ich erkundigte mich möglichst beiläufig nach seiner Arbeit. Er machte Geschäfte, Importe und Exporte nach Russland. Erstaunlich, dass er AdFin nicht kannte. Voller Stolz erzählte er mir von seiner eigenen Firma. Die Tiefgarage war unübersichtlich weitläufig und schlecht beleuchtet. Er ging zielstrebig auf einen Wagen zu, der teuer und neu wirkte, aber ich kenne mich mit Autos nicht aus. Galant hielt er mir die Autotür auf, während ich steif Platz nahm.
Während der Fahrt machte ich Konversation, obschon mein Hirn überbeschäftigt war mit der Suche nach Erklärungen für den Koffer in seiner Wohnung. Der Wagen roch neu, und die Heizung blies trockene Luft direkt in mein Gesicht. Jetzt schwätzte Petar Lischkow wieder drauf los, er bemängelte die Schweizer Demokratie, seiner Meinung nach eine Scheindemokratie, in der wesentliche Entscheidungen doch nicht vors Volk kamen. Weil Geld die Welt regierte, wie er fand, auch in der Schweiz. Ich gab ihm im Wesentlichen Recht, auch wenn es mich ein bisschen ärgerte, dass die Kritik von einem Ausländer kam, der aus einem der korruptesten Länder stammte. Ich erwiderte, dass die Schweiz in Bezug auf Korruptionsrankings dann doch nicht so schlecht dastehe. Petar lachte mich aus und entgegnete, dass die Schweizer im Betrügen einfach geschickter seien. Ich ärgerte mich, auch wenn er vermutlich recht hatte. Aber solange ich mich ärgerte, hatte ich wenigstens keine Angst. Ich wusste überhaupt nicht, mit wem ich hier im Auto sass. Wie kam Petar zu Juris Koffer?
«Ihr Schweizer seid immer so still, so diskret», sagte er, mit einem Seitenblick auf mich. «Nie ein lautes Wort. Und wenn einmal einer hustet oder laut lacht, dann muss er Angst haben, die anderen zu stören.»
«Weil er uns ja auch stört, schau dir einmal uns Schweizer an, in einer Strassenbahn oder so. Weil wir nämlich immer schlechte Laune haben. Deshalb müssen wir auch so diskret sein, um uns gegenseitig in unseren schlechten Launen nicht zu stören.»
Das war eine Flucht nach vorn, und Petar lachte polternd los. Dabei war es ihm offensichtlich entgangen, dass meine Laune schlechter nicht hätte sein können. Ich hatte riesige Lust, ihn laut anzuschreien, unschweizerisch oder nicht, aber noch grössere Lust hatte ich, aus dem Auto rauszukommen. Als Petar beim Hirschengraben bei einer Ampel stehen blieb, erklärte ich ziemlich abrupt, dass ich hier aussteigen wollte. Ich bedankte mich für die Fahrt, gab ihm kurz die Hand und sprang aus dem Wagen. Er sah mir überrascht und verständnislos nach.
23
Am frühen Abend wartete ich wieder in der Nähe von Perrens Büro. Wie schon gestern trat er kurz nach fünf aus dem Haus, nur ging er heute in entgegengesetzter Richtung davon. Ich folgte ihm, inzwischen sehr bedacht darauf, nicht gesehen zu werden. Er lief die Hauptgasse hinauf zum Bahnhof und weiter zum Hirschengraben, wo er in der Eingangstür des Hotels National verschwand. In der Zwischenzeit hatte ich begriffen, dass er an drei bis vier Tagen pro Woche in der Kanzlei in Bern anwesend war, die restliche Zeit verbrachte er in Leukerbad. Was ich nicht wusste, war, wo er in Bern wohnte, möglicherweise in einem Hotel. Jedenfalls hatte ich ihn im Telefonbuch nicht gefunden. Ich setzte mich auf eine Parkbank und beobachtete die Fensterfront. Tatsächlich ging in einem der oberen Stockwerke nach wenigen Minuten ein Licht an. Kurz darauf wurde es wieder gelöscht. Ich blieb sitzen. Ein paar Minuten später verliess Perren das Hotel.
Ich wollte wissen, ob meine Vermutung stimmte. Die Rezeption lag im ersten Stockwerk, ich stieg hoch und fragte nach Herrn Perren.
«Er ist eben gerade gegangen. Wollen Sie ihm eine Nachricht hinterlassen?», meinte der freundliche ältere Herr an der Rezeption.
«Nein», antwortete ich etwas zu brüsk. «Er hat nichts für mich dagelassen?», schob ich nach.
Der Mann drehte sich um und blickte auf das Schlüsselbrett. Mit einer unüberlegten Bewegung griff er nach einem Schlüssel, Zimmernummer 312, bevor er in das Fach daneben fasste. Natürlich lag da keine Nachricht für mich.
«Nein, da ist nichts, tut mir leid. Wollen Sie eine Nachricht da lassen?»
«Ich glaube nicht. Wissen Sie, wann er zurückkommt?»
«Ich nehme an, er ist auswärts essen gegangen. Meistens kommt er so gegen zehn Uhr zurück,
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