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Russische Freunde

Russische Freunde

Titel: Russische Freunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Lutz
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wann macht es Sinn, einen Notar beizuziehen?»
    «Das kommt ganz darauf an. Du kannst einem Notar die ganze Verwaltung des Nachlasses oder die Durchführung der Erbteilung überlassen. Oder wenn es um die Erbschaftssteuer geht, Notare kennen sich mit so etwas aus. Vieles. Verträge aufsetzen. Manches muss auch vom Notar gemacht werden. Im Kanton Bern muss beispielsweise ab hunderttausend Franken ein Notar das Steuerinventar erstellen.»
    Ich hatte begriffen, dass die rechtliche Situation rund ums Erben komplex war. Die Notizen, die ich mir auf der Rückseite eines alten Kalenderblattes gemacht hatte, waren chaotisch. Jedenfalls schien es sehr normal zu sein, dass Perren als Notar mit dem Erbschaftsamt zu tun hatte.
    «Eine letzte Frage: Wem untersteht das Erbschaftsamt?»
    «Dem Gemeinderat, natürlich, also, warte einmal», sie zögerte, ich wusste nicht, ob sie nachdachte oder Unterlagen konsultierte, «das Erbschaftsamt ist Teil des Amts für Erwachsenenund Kinderschutz, genau, die Beistandschaften und solche Dinge gehören da auch dazu, und das Ganze ist der Direk tion für Sicherheit, Umwelt und Energie zugeteilt. So ist das. Ich finde eine solche Verwaltungslehre übrigens keine schlechte Idee.»
    «Nein, wahrscheinlich nicht. Etwas viel Testament und Tod für einen jungen Menschen, vielleicht.»
    «Und du, an was bist du eigentlich? Bist du immer noch in der Bibliothek?»
    «Nein. Im Moment jobbe ich ein bisschen. Momentan bin ich hauptberuflich arbeitslos. Vielleicht hätte ich ja auch eine solche Lehre machen sollen.»
    «Wäre es denn für dich nicht zu viel Testament und Tod gewesen? Aber es geht dir gut, oder? Bist du glücklich?»
    Ich bejahte. Als ich aufgelegt hatte, schaute ich winzigen Staubteilen zu, die in den Sonnenstrahlen tanzten. Ich blies sie von meiner Nase weg, obschon ich wusste, dass sie auch da waren, wenn ich sie nicht sah. Unglücklich war ich nicht. Nur etwas zu häufig etwas zu mutlos in der letzten Zeit. Falls das überhaupt eine Rolle spielte.
    Ich stand auf und schaute nach meiner Mutter. Sie stand hinter der halbgeöffneten Tür im Gang und sah traurig aus, ich erschrak, als ich sie sah. Ich war mir sicher, dass sie Teile des Gesprächs gehört und Worte wie Erbschaft und Testament aufgeschnappt hatte. Ich wusste nicht, wie ich ihr erklären konnte, dass es nicht um sie ging. Wenn ich jetzt von Ermittlungen anfing, mit denen ich mich beschäftigte – dann klang das nach einer Ausrede, nach einer sehr schlechten Ausrede. Ich hatte mir in den letzten Tagen viele Notlügen einfallen lassen. Jetzt, wo ich wirklich eine nötig hatte, fiel mir nichts ein. Gar nichts.

25
    Meiner Mutter ging es nicht so schlecht. Ich begleitete sie zum Hausarzt in Bern und sprach selbst mit ihm. Es war wichtig, dass sie die Medikamente regelmässig einnahm. Ausserdem ernährte sie sich nicht so gut. Nach dem Arztbesuch brachte ich sie zurück in ihre eigene Wohnung und versprach, am Nachmittag noch einmal vorbeizukommen.
    Als ich nach drei Tagen zu mir nach Hause zurückkehrte, stand der weisse Lieferwagen einer Malerfirma auf dem Trottoir vor dem Hauseingang. Von oben hörte ich Geräusche, Männerstimmen. Ich stieg hoch und sah, dass Juris Wohnung während meiner Abwesenheit ausgeräumt worden war. Der Gangboden war mit Karton abgedeckt, zwei Maler standen auf einem Gerüst und strichen die Decke. Ich betrat den Gang und fragte die beiden, wer die Wohnung ausgeräumt hatte. Sie wussten es nicht. Jedenfalls hatte sich damit für mich die Sache mit dem kaputten Schloss erledigt.
    Meine eigene Wohnung hatte ich nach dem Anruf meiner Schwester vor drei Tagen überstürzt verlassen, in der Spüle stand dreckiges Geschirr, und es war eiskalt. Den restlichen Vormittag verbrachte ich mit Aufräumen und mit dem Durchsehen der Post.
    Es wäre gut, überlegte ich, noch einmal mit Tobias Buchers Schwester zu sprechen, und zwar ohne Beisein ihrer Eltern. Deshalb fuhr ich am späten Nachmittag nach Konolfingen in der Hoffnung, sie auf dem Heimweg abzufangen. Ich hatte Glück, denn als ich beim Bahnhof einen Parkplatz suchte, sah ich sie bereits. Sie war vermutlich eben gerade aus dem Zug ausgestiegen, sie wirkte müde und schleppte sich die steile Strasse hoch. Ich liess das Auto stehen, wo es gerade war, und rannte ihr nach. Als ich sie fast erreicht hatte, rief ich sie an, überholte sie und stand schliesslich auf der abschüssigen Strasse über ihr. Ein Lastwagen donnerte so nahe an uns vorbei, dass wir den

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