Russische Freunde
unter Druck.
«Ich möchte mich mit Ruth Reiter treffen, du weisst doch, Ruth, die mit uns studiert hat. Ich habe den Kontakt verloren und dachte, dass du vielleicht weisst, wo sie wohnt. Ihr wart doch damals so eng befreundet.»
«Sie wohnt inzwischen in Luzern, aber ich habe auch keinen Kontakt mehr. Irgendwo hatte ich ihre Adresse, vielleicht ist sie ja noch gültig.»
Anita stand hinter ihrem Schreibtisch, sah sich, sichtlich durch meine Frage aus dem Konzept geworfen, suchend um und hob ein paar Papiere auf.
«Nur, diese privaten Adressen, die habe ich vermutlich gar nicht bei mir, sondern zu Hause. Aber ich kann sie ja für dich im Telefonverzeichnis suchen», den letzten Satz sagte sie säuerlich, weil ihr bewusst geworden war, wie unnötig ich sie störte. Ein blöderer Vorwand für meinen Besuch hätte mir nicht einfallen können, aber jetzt war es zu spät. Anita setzte sich an ihrem Computer. Dann drehte sie sich noch einmal zu ihrem Schreibtisch zurück und zog unter verschiedenen Papieren ein Mobiltelefon hervor, tippte auf den Tasten herum.
«Ah, doch, ich habe ihre Adresse gespeichert», ersparte sie mir die Blamage, Ruth Reiter im öffentlichen Telefonbuch für mich zu suchen. Anita las mir die Adresse vor, mit ihrer Erlaubnis fischte ich einen Fetzen Papier aus dem Abfallkorb, um sie zu notieren. Da sie mir nicht angeboten hatte, mich zu setzten, benützte ich meine Handtasche als Unterlage. Ich spürte, dass Anita genervt war. Übertrieben langsam diktierte sie mir die Adresse, sie hielt nach jedem Wort inne und wartete auf meine Zusicherung, dass ich verstanden hatte. Es tat mir ja leid, sie mit dieser blöden Frage gestört zu haben. Aber das war eigentlich kein Grund, anzunehmen, sie müsse mir die Adresse Buchstabe für Buchstabe durchgeben, damit ich sie richtig aufschrieb.
Anita sass hinter ihrem Schreibtisch. Nach einer kurzen Überlegung schob sie das Dossier vor sich zur Seite. «Und sonst? Wie geht’s? Wo arbeitest du? Ich mache das morgen fertig. Ich hätte es heute eh nicht mehr geschafft. Bleib also noch einen Moment. Was machst du denn so?»
Während sie das sagte, begann sie damit, den Schreibtisch aufzuräumen, sie ordnete Papiere und versorgte Schreibzeug. Ich lehnte mich, um nicht weiter einsam vor ihrem Schreibtisch zu stehen, gegen einen Aktenschrank.
«Du, du bist doch im Stadtrat. Wegen diesem Zukauf für das Historische Museum, dieser Villa im Kirchenfeld, da gab’s im Stadtrat doch Diskussionen. Um was ging’s denn da?»
«Ja, der Kauf wurde kritisiert. Ich meine, bei der momentanen Finanzknappheit, das war nun wirklich nicht das Dringendste. Natürlich, das Museum hat das Bedürfnis vor ewiger Zeit angemeldet, und klar, man hat dem zugestimmt. Dass die Stadt für das Museum Raum beschafft. Aber aus so etwas erwachsen immer Folgekosten, ungedeckte Umbaukosten, oder dann braucht’s plötzlich einen besseren Brandschutz. Mich jedenfalls hat gestört, wie schnell das plötzlich ging, der Gemeinderat hat den Kauf durchgewinkt, das ging viel zu schnell, dabei gibt es wirklich wichtigere Bedürfnisse. Um das ging’s mir bei meinem Vorstoss.»
«Ach, du hast …?», ich unterbrach mich. «Ja, haben denn die Stadtbauten das einfach so gekauft? Von wem denn?»
«Nein, natürlich nicht einfach so, es gab die nötigen Prüfungen und Abklärungen, logisch. Nein, die Stadtbauten hatten in der Vergangenheit schon genug Probleme. Naphtalin an den Schulen, die ganzen Filzvorwürfe. Die übrigens mehr oder weniger entkräftet worden sind. Die Sensibilität für die beschaffungsrechtlichen Rahmenbedingungen sei halt nicht optimal gewesen, heisst es im Bericht. Nein, um das ging’s mir nicht, sondern um die Prioritäten, die die Stadt setzt. Um die Diskussion, was eigentlich wichtiger ist, Kindergärten oder das Museum. Mit einer kleinen Anfrage kannst du sowieso nichts mehr ändern, aber immerhin, sie mussten sich meine Kritik anhören, und die hat’s auch in die Medien geschafft. Das hast du wahrscheinlich gesehen.»
«Von wem hat denn die Stadt die Villa abgekauft?»
«Das weiss ich jetzt nicht mehr, das war egal. Sie war sehr billig, das wurde vor allem ins Feld geführt, aber trotzdem, bei der derzeitigen Finanzknappheit. Ich glaube, das Museum hatte ursprünglich sogar gehofft, sie gratis zu bekommen, weil die ehemalige Besitzerin, eine alte Dame, im Förderverein des Museums sass. Ja, jetzt kommt es mir wieder in den Sinn, das Museum hat auf den Kauf gedrängt, weil,
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