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Russische Orchidee

Russische Orchidee

Titel: Russische Orchidee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Polina Daschkowa
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blicke er durch eine schmutzige, trübe Glasscheibe. Er blinzelte, stützte sich auf den Ellbogen und stellte fest, daß er auf einem harten, kalten Boden lag. Er hatte geglaubt, er befinde sich zu Hause in seinem Bett. Tatsächlich aber lag er auf einem schmutzigen Fliesenfußboden.
    »Natascha«, rief er nach seiner Frau und konnte die eigene Stimme nicht hören, außerdem war sein Mund so trocken, daß ihm die Zunge am Gaumen klebte.
    Das melodische Klingeln wollte nicht aufhören. Sanja richtete sich halb auf, sah sich um, und erst jetzt begriff er, daß er sich gar nicht zu Hause befand, sondern in irgendeinem fremden Hausflur. Er hatte seinen Schaffellmantel an, der völlig durchnäßt war, und in der Innentasche klingelte ununterbrochen das Handy.
    »Sanja, wo bist du?« hörte er die Stimme seiner Frau und beruhigte sich ein wenig.
    »Ich weiß nicht«, erwiderte er, »warte mal, ich will versuchen, ob ich es rauskriegen kann.«
    Um auf die Beine zu kommen, mußte er sich mit der Hand auf den nassen Fußboden stützen. Die Hand glitt aus und stieß gegen einen kalten metallischen Gegenstand. Der Gegenstand rutschte über den Boden und prallte dumpf gegen die Wand. Sanja fiel wieder auf die Seite. Nicht nur, daß er fast blind war, ihm war auch ganz schwindlig.
    »Natascha, mir ist schlecht.«
    »Bist du etwa betrunken? Weißt du, wie spät es ist?«
    »Ich hab nicht die leiseste Ahnung.«
    »Halb drei. Nimm ein Taxi, und komm sofort nach Hause!«
    »Ich kann nicht aufstehen. Ich sehe nichts.«
    Ganz in der Nähe erklang ein dumpfes Brummen und Poltern. An dem Geräusch erkannte Sanja, daß jemand den Lift in Bewegung gesetzt hatte. Einen Augenblick später ertönte wütendes Hundegebell und gleich darauf klägliches, aufgeregtes Winseln, als habe der Hund sich vor etwas erschrocken. Gleichzeitig hörte man den Aufschrei einer Frau. Die Tür des Lifts schloß sich geräuschvoll.
    »O mein Gott! Zu Hilfe! Lieber Himmel, so viel Blut!«
    »Sanja, da schreit jemand«, japste Natascha erschrocken ins Telefon, »erklär mir, was da passiert.«
    Der Hund winselte und bellte immer weiter. Sein Frauchen sagte gar nichts mehr, man hörte nur, wie sie zusammen mit dem Hund die Treppe hinaufhastete, ohne zu warten, daß sich die automatische Tür des Aufzugs wieder öffnete.
    Irgendwo in der Nähe klickte ein Türschloß. Eine herrische Männerstimme fragte: »Was ist denn los?«
    Sanja versuchte erneut aufzustehen, aber das Schwindelgefühl verstärkte sich. Ein Krampf preßte ihm die Kehle zusammen. Er versuchte den Brechreiz zu unterdrücken, schaffte es aber nicht. Er mußte sich übergeben. Das Handy konnte er gerade noch abschalten, dann verlor er das Bewußtsein. Ob es eine tiefe Ohnmacht oder schwerer Schlaf war, wußte er nicht. Er kam wieder zu sich, als ihn jemand heftig und grob an den Ellbogen nach oben zog.
    »Los, los, mach die Augen auf. Kannst du dich ausweisen?«
    »Der ist doch völlig weggetreten, das versoffene Schwein.Ih, der ist ganz vollgekotzt, widerlich, den mag man ja gar nicht durchsuchen.«
    »Aber teure Klamotten, und ein Handy hat er auch …«
    Räuber, schoß es ihm durch die trübe Suppe in seinem Gehirn, den Stimmen nach mindestens drei. Wo schleppen die mich hin?
    Er zwang sich, die Augen zu öffnen. Seine Sehkraft war fast wiederhergestellt. Zuerst erblickte er die graue Uniformjacke eines Milizionärs, dann ein junges, glattes Gesicht.
    »Er kommt wieder zu sich, Genosse Hauptmann, er hat die Augen aufgemacht.«
    Sanja sah sich stumpf und verwirrt um. Ein fremdes, aber doch irgendwie bekanntes Treppenhaus. Plötzlich begriff er, daß er hier schon früher gewesen war.
    »Ich kenne den Mann«, sagte neben seinem Ohr leise die Stimme einer älteren Frau. »Das ist Alexander Anissimow, geboren 1970. Er hat meinen Sohn zweimal bedroht, einmal telefonisch und dann bei uns zu Hause.«
    Sanja drehte sich um und wußte sofort, wer die Frau war. Sie hatte sich einen alten Frotteebademantel über das Nachthemd gezogen. Die spärlichen grauen Haare waren zu zwei dünnen Zöpfen geflochten.
    »Guten Abend, Jelena Petrowna«, sagte Sanja völlig verdutzt und bemerkte erst jetzt, wie sonderbar ihr Gesicht aussah. Nicht einfach bleich, sondern nahezu blau.
    »Mörder«, flüsterte sie zurück, fast ohne die Lippen zu bewegen. »Wegen dieser lumpigen Dollars … Verflucht sollst du sein.« Sie schwankte plötzlich, ihre Augen verdrehten sich, ein kurzes Ächzen entrang sich ihrem Mund. Jemand fing

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