Russische Orchidee
einfach. Die ideale Ehefrau sieht für alle gleich aus: barfuß und schwanger in der Küche. Bloß wenn du diesen Idealzustand erreicht hast, dann hat er dich schon längst satt, du bist langweilig geworden. Du wirst behandelt wie ein Dienstmädchen, eher noch schlechter. Einem Dienstmädchen zahlt man wenigstens Lohn und beschimpft es nicht. Es gehört ja nicht zur Familie.«
Natascha lauschte mit Widerwillen und gleichzeitig einer Art masochistischem Vergnügen. Ja, so war es. Alles stimmte. Sollte das etwa Liebe sein? »Grüß dich, Alte! Was gibt’s heute zum Abendessen? Schon wieder Hühnchen?Hör mal, ich hab keine sauberen Socken mehr. Und vergiß nicht, mein hellblaues Hemd zu bügeln.«
Und dann springt er im gebügelten Hemd, frischrasiert und nach dem französischen Toilettenwasser duftend, das du ihm zum Geburtstag geschenkt hast, ins Auto und braust mit hundert Sachen zu seinen freien, nicht schwangeren, nicht stillenden, sorgfältig geschminkten Weibern. Du aber darfst zu Hause sitzen, seine Socken waschen, dich ums Baby kümmern, den Kinderwagen durch Schlamm und Dreck zum Supermarkt schieben und kiloschwere Taschen schleppen, bis du alt und grau bist. Und darüber sollst du auch noch froh sein.
»Wo ist dein teurer Sanja denn jetzt? Sag schon, wo?«
»Bei einer Besprechung.«
»Kluges Kind.« Olga lachte heiser. »Mach nur weiter so.«
»Was meinst du damit?«
»Lüg dir nur weiter in die Tasche. Vielleicht sind diese Lügen ja wirklich weiser und ungefährlicher als die Wahrheit.«
»Und was ist die Wahrheit?«
»Die Wahrheit ist, daß du mit einem Schwein zusammen lebst«, sagte Olga. Man konnte hören, wie sie sich im gleichen Augenblick eine Zigarette ansteckte.
»Mein Mann ist kein Schwein«, erwiderte Natascha nach langem Schweigen finster. »Er hat keine anderen Frauen. Er arbeitet einfach nur sehr viel, besonders jetzt nach der Krise.«
»Natascha! Liebste Natascha! Nun hör aber auf, du bist doch erwachsen.«
Natascha spürte, wie ihr Tränen über die Wangen rannen, sie begriff, daß sie auflegen und dieses widerwärtige Gespräch beenden mußte. Es war alles falsch. Sie und Sanja liebten einander, sie hatten ein Kind, Dimytsch, im Sommer würden sie Urlaub auf Zypern machen. Und deshalb warSanja jetzt jeden Abend unterwegs und versuchte Geld zu verdienen. Sie würden eine gute Kinderfrau finden, Dimytsch würde heranwachsen. Das ganze Leben lag noch vor ihnen.
»Oje, entschuldige, Dimytsch ist aufgewacht, ich rufe dich morgen früh wieder an.« Natascha legte auf.
Dimytsch schlief fest und ruhig. Sie zog die Decke zurecht, streichelte ihm über die weiche runde Wange, beugte sich hinunter und küßte ihn vorsichtig auf die Stirn.
»Dummes Zeug ist das alles, Dimytsch«, flüsterte sie. »Wir haben den besten Papa auf der Welt. Wir hören uns diesen Unsinn nicht länger an. Olga ist von ihrem Mann sitzengelassen worden, und deshalb denkt sie jetzt, alle Männer wären Scheusale. Aber das stimmt nicht. Man kann nicht leben, wenn man niemandem glaubt und niemanden liebt.«
Nach dem Gespräch mit Olga fühlte sie sich, als hätte sie am Rand eines Abgrunds gestanden, hätte hineingeschaut und wäre zurückgeschreckt.
Die Augen fielen ihr zu. Es war schon drei Uhr, und Sanja war immer noch nicht zurück. Jetzt dachte sie nicht mehr an langbeinige Furien, sie war nur noch besorgt. Wenn sich Sanja früher verspätet hatte, hatte sie ihn immer übers Handy erreichen können. Aber jetzt benutzte er es aus Sparsamkeit fast gar nicht mehr und schaltete es nur sehr selten ein. Ohne auf eine Antwort zu hoffen, wählte sie dennoch seine Nummer.
Im Hof war ein weiterer Feuerwerkskörper explodiert, das ferne Krachen hallte in seinem Kopf als schwaches Echo wider. Sanja schrie im Schlaf auf, ein Alptraum quälte ihn: Er hing im Schacht eines alten Lifts, krallte sich mit den Fingern an das graue Gitter, die Kräfte verließen ihn, der Draht schnitt ihm in die Haut, die Hände bluteten, unterihm Schwärze, der Betonfußboden, und von oben kam langsam der Lift. Diesen Alptraum hatte er oft als Kind gehabt, besonders wenn er krank war und hohes Fieber hatte.
Die dunkle Masse des Liftes glitt von oben auf ihn zu, kam immer näher, aber da klingelte zum Glück der Wecker. Mit Mühe öffnete Sanja die verklebten, schweren Augenlider.
Zuerst sah er nur Flecken, helle und dunkle. Irgend etwas war mit seinem Sehvermögen passiert, er strengte seine Augen an, doch alles verschwamm, als
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