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Russische Orchidee

Russische Orchidee

Titel: Russische Orchidee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Polina Daschkowa
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Amerikaner namens Dickens auf. Ein ulkiger, riesiger Mann in einem weißen Anzug, der jedem gleich bei der Begrüßung sagt, daß er nicht Charles, sondern Douglas heißt und mit dem großen englischen Schriftsteller nichts zu tun hat.
    Bei der Probe habe ich einen Zigeunertanz und danach eine Tschetschotka getanzt und dann noch zur Gitarre die Romanze ›Leuchte, leuchte, kleiner Stern‹ gesungen. Er hat echte, dicke Tränen geweint. Jetzt holt er mich jeden Abend mit seinem offenen schwarzen Automobil ab und drückt vorm Haus immer lange auf die Hupe. Dunkelrote Rosen und ein schneeweißer Anzug rufen nicht eben die angenehmsten Erinnerungen bei mir wach. Aber daran will ich nicht mehr denken. Das alles ist dort, in Rußland, geblieben.
    Heute hat er mir vorgeschlagen, mit ihm zusammen nach Amerika zu gehen, nach Hollywood. Offenbar ist er sehr reich und investiert sein Geld ins Filmgeschäft. Ich weiß nicht, ob etwas Vernünftiges dabei herauskommt. Ich war nie abergläubisch, aber diesmal habe ich Angst, daß ich zuviel erwarte und mein Glück herausfordere.
    Ach, ich glaube, jetzt ist mein Kleiner aufgewacht und weint.«
     
    »Was liest du denn da so hingebungsvoll?« Dmitri Malzew war so leise eingetreten, daß Warja zusammenfuhr.
    Er nahm ihr das Buch aus der Hand. Auf dem Umschlagwar das Foto eines amerikanischen Filmstars aus den dreißiger Jahren, Sophie Paurier.
    »Ich hätte nie gedacht, daß sie Russin ist«, sagte Warja, »aber in Wirklichkeit hieß sie Sonja Baturina, das Pseudonym Paurier hat sie zur Erinnerung an ihre erste Liebe gewählt. Dies sind Auszüge aus ihrem Tagebuch, eine tragische Liebesgeschichte mit einem unglücklichen und viel älteren Grafen, der von seiner wahnsinnigen Frau ermordet wurde. Tatsächliche Ereignisse sind oft viel interessanter als jeder Roman.«
    »Na, erstens sind längst nicht alle Ereignisse, die hier beschrieben werden, tatsächlich geschehen. Vieles ist erfunden, schließlich kann man es nicht mehr nachprüfen.«
    »Trotzdem ist es interessant, auch wenn’s erfunden ist. Das Buch lag im Schlafzimmer auf deinem Nachttisch, du hast es doch auch gelesen und konntest dich nicht losreißen. Und, wenn du genauer hinschaust, wirst du sehen, wie ähnlich ich ihr bin. Hier, guck mal.« Warja blätterte die Illustrationen durch, zeigte ihm einige Fotos und drehte ihren Kopf so, daß er ihn aus der gleichen Perspektive sah, aus der Sonja Baturina aufgenommen worden war.
    »Ja, ihr habt tatsächlich eine gewisse Ähnlichkeit«, stimmte Malzew ihr zu.
    »Übrigens, ist sie das nicht auch auf dem Porträt, das im Wohnzimmer hängt, in ihrer Jugend? Sie schildert ja in ihrem Tagebuch, wie der Graf sie mit der Brosche gemalt hat.«
    »Ja, das ist sie. Pawel schwärmt für die alten Hollywoodfilme, besonders die aus den dreißiger Jahren. Als er erfahren hat, daß das Mädchen auf dem Bild die junge Sophie Paurier ist, hat er es sofort gekauft.«
    »Ist denn die Brosche, die sie im Garten vergraben hat, wirklich so wertvoll? Ob später wohl jemand dieses Silberkästchen gefunden hat?«
    »Genug davon.« Malzews Stimme klang auf einmal lauter und schärfer, in seine Augen trat ein unangenehmer, böser Ausdruck. »Du solltest dich besser auf die Prüfungen vorbereiten und deine Lehrbücher lesen.«
    Draußen hörte man Motorengeräusch. Malzew sah auf die Uhr und ging nach unten ins Wohnzimmer. Warja huschte zum Fenster und sah, wie der blaue Sedan seines Bruders durchs Tor fuhr.
    Ein paar Augenblicke später hörte sie Schritte auf der Treppe. Bevor die Männer oben waren und die Tür des Arbeitszimmers hinter sich schlossen, schnappte Warja einige Gesprächsfetzen auf. Dmitri war sehr verärgert und sprach mit lauter Stimme, schrie fast schon, was bei ihm selten vorkam.
    »Hat er gesagt, womit das zusammenhängt? Konzentrier dich bitte, Pawel. Reiß dich zusammen. Schließlich ist er nicht als Tourist dorthin gefahren, weil er seinen Horizont erweitern will.«
    »Schrei nicht so, Dmitri. Es ging irgendwie um den Mord an einem Fernsehjournalisten, aber die Einzelheiten kenne ich nicht. Wie du begreifen wirst, hat der Milizionär Professor Udalzow keine Details mitgeteilt und Udalzow mir erst recht nicht.«
    »Gut, Pawel, das ist ja immerhin schon etwas – ein Fernsehjournalist. Das ist schon so was wie eine Spur. Ich werde versuchen, bei der Staatsanwaltschaft mehr zu erfahren.«
    Die Tür des Arbeitszimmers schlug zu. Die Stimmen verstummten.

Kapitel 39
    Lisa hatte sich

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