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Russische Orchidee

Russische Orchidee

Titel: Russische Orchidee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Polina Daschkowa
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man warmes Wasser, alle Fremden mußten die Kajüte verlassen. Der französische Schiffsarzt erschien und bot seine Hilfe an. Die Geburt wurde zu einem Ereignis, das auf wundersame Weise alle auf dem Schiff zusammenschweißte. Der Dampfer, der vierundzwanzig Stunden vor ihnen ausgelaufen war, hatte Schiffbruch erlitten, und niemand hatte sich retten können. Alle wußten, daß über Funk ein weiterer, noch stärkerer Sturm angekündigt worden war. Er sollte gegen Abend aufkommen. Viele setzten ihre Hoffnung auf das Kind: Wenn es gesund zur Weltkäme, würde auch ihr Schiff wohlbehalten Konstantinopel erreichen.
    Die Geburt dauerte zehn Stunden. Als die ersten schweren, furchtbaren Wogen das Schiff in die Höhe warfen wie ein kleines Fischerboot, ertönte der kräftige Schrei des neugeborenen Jungen.
     
    »Jetzt ist Nacht, mein kleiner Michail ist endlich eingeschlafen. Papa ist noch nicht aus dem Krankenhaus zurück. Ich habe dieses Heft gefunden und beschlossen, mein Tagebuch weiterzuführen, warum, weiß ich nicht«, schrieb Sonja im Sommer 1920 in Paris. »Wir sind nun schon anderthalb Jahre hier und nach allen Schrecken der Flucht längst wieder zur Besinnung gekommen. Ich gehe zur Schauspielschule. Unterricht, Proben, Filmaufnahmen füllen fast meine ganze Zeit aus. Ich will und kann mich an nichts erinnern. Und trotzdem steht mir dieser seltsame, leuchtende Stein vor Augen.
    Wir haben ihn neben dem Gartenpavillon vergraben, zum Wäldchen hin, zwei Meter von der größten und ältesten Eiche entfernt. Papa hatte gesagt, wir dürften nicht zögern. Der Kaufmann würde noch am selben Tag zurückkommen und das ganze Haus auf den Kopf stellen.
    Ich habe die Brosche in ein silbernes Kästchen gelegt, ebenjenes, in dem Mischa sie mir gebracht hatte. Der Brillant leuchtete in der Dämmerung, und zum ersten Mal bemerkte ich, welche seltsame, schreckliche Schönheit er hat. Bisher waren mir Juwelen immer gleichgültig gewesen. Sie haben eine tote Schönheit, die im Menschen nichts Gutes weckt. Nur Bosheit, Neid und Habgier. Aber als ich dort am Rand der kleinen, tiefen Grube stand, kam es mir vor, als beerdigten wir ein lebendiges Geschöpf. Ich betrachtete die Brosche ein letztes Mal. Die Blütenblätter zitterten, derStein glühte im purpurnen Licht der untergehenden Sonne. Danach kam dieser ganze Alptraum, der wahnsinnige Kaufmann mit seinen Banditen, das Feuer …
    Vor der Abreise nach Odessa wollte Papa noch nach Baturino fahren, um die Brosche auszugraben. Aber es war keine Zeit mehr dafür, und es wäre auch zu riskant gewesen, mit einer solchen Kostbarkeit zu fliehen. Papa entschied, wir würden später, wenn die roten Wirren vorüber wären, zurückkehren, und dann würde uns diese Brosche vielleicht helfen, neu anzufangen.
    Jetzt weiß ich sicher, wir kehren nie mehr zurück. Es gibt keinen Ort, wo wir hin könnten. Dort herrschen die Arbeiter- und Bauernräte, der Hunger, der rote Terror. Zuchthäusler und Banditen sind an der Macht. Kürzlich kam Natascha Danilowa aus Berlin. Sie erzählte, sie habe von einem der Neuankömmlinge gehört, Irina Paurier sei im Herbst 1917 keineswegs an einem Schlaganfall gestorben, sondern sei Kommissarin geworden, eine rote Bürokratin, die für die Verteilung des geraubten Eigentums zuständig sei.
    Papa glaubt nach wie vor, daß die Bolschewiken sich nicht lange halten werden, jeden Morgen liest er die Zeitungen mit einer solchen Gier, daß es weh tut, ihn anzuschauen.
    Seine Rettung ist wie immer die Arbeit. Wir hatten unglaubliches Glück. Vor einem Jahr trafen wir auf dem Boulevard Saint-Michel den Arzt, der mir auf dem französischen Schiff zusammen mit Papa geholfen hat, meinen Sohn zur Welt zu bringen. Mit Unterstützung dieses Monsieur Frappe hat Papa alle Klippen der französischen Bürokratie umschifft und eine Stelle am Städtischen Krankenhaus bekommen, was für Emigranten wie uns normalerweise unmöglich ist. Jetzt haben wir genug für diese kleine Wohnung, für das Essen und für die Kinderfrau von Michail.
    Papa ist von morgens bis abends beschäftigt, oft macht erNachtdienst, schläft wenig. Und ich habe in meinem Schauspielstudio zu tun. Niemals hätte ich gedacht, daß ich Schauspielerin werden würde. Aber wie sich zeigt, habe ich Talent, man sagt mir eine große Zukunft beim Film voraus. Bis jetzt sind mir nur kleinere Rollen angeboten worden, aber immerhin kann ich schon aus mehreren Angeboten auswählen.
    Vor zwei Wochen tauchte auf unseren Proben ein

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