Russische Orchidee
vorgenommen, sofort am nächsten Morgen zur Miliz zu fahren. Sie teilte Borodin mit, daß sie von zehn bis zwölf frei habe. Aber der gab zu bedenken, wie vieleNeugierige in seinem kleinen Büro auftauchen würden, sobald sich herumspräche, daß Jelisaweta Beljajewa persönlich bei ihm säße. Ein normales Gespräch würde da kaum möglich sein.
»Ich komme lieber zu Ihnen, wenn Sie nichts dagegen haben.«
»Nein, natürlich nicht.«
Borodin erwartete, eine luxuriöse Wohnung mit mindestens fünf Zimmern vorzufinden oder eher noch ein zweistöckiges Penthouse mit verglastem Wintergarten in einer der in den neunziger Jahren von Bürgermeister Lushkow erbauten Siedlungen für die neuen Reichen. Aber es stellte sich heraus, daß der Fernsehstar in einer ganz normalen Dreizimmerwohnung lebte.
Ungeschminkt, in Jeans und Pullover, sah die Beljajewa sogar noch hübscher aus als auf dem Bildschirm. So kam es jedenfalls Borodin vor, der geschminkte Frauengesichter sowieso nicht leiden konnte.
»Tee? Kaffee?«
»Wenn es Tee in Teebeuteln ist, dann lieber Kaffee.«
»Und wenn der Kaffee Pulverkaffee ist, dann lieber Tee«, sagte sie lächelnd.
»Sie haben also den Mörder von Artjom noch nicht gefunden?« fragte sie, während sie am Herd stand und beobachtete, wie der Schaum in dem großen Kupfertopf aufstieg.
»Nein, noch nicht. Seit wann kannten Sie Butejko eigentlich?«
»Seit etwa fünf Jahren.« Sie nahm das Gefäß vom Herd, goß den Kaffee in kleine Tassen und setzte sich auf die andere Seite des Tisches. »Sicher hat man Ihnen schon gesagt, daß die Beziehungen zwischen Artjom und mir nicht die besten waren.«
»Ja, das habe ich gehört, und ich habe auch die Aufzeichnungen mehrerer alter Sendungen gesehen.«
»Und welcher, wenn es kein Geheimnis ist?« Sie trank etwas Kaffee und verzog das Gesicht, weil er noch zu heiß war, stand auf und holte eine Packung Grapefruitsaft aus dem Kühlschrank. »Möchten Sie auch?«
»Ja, ein wenig. Danke.«
Der Saft war eiskalt. Sie leerte ihr Glas in einem Zug. Borodin merkte, daß sie ziemlich aufgeregt war.
»Sagen Sie, Jelisaweta Pawlowna, war Ihr Verhältnis zu Butejko von Anfang an so schlecht? Oder gab es irgendwelche konkreten Gründe für die Feindseligkeit zwischen Ihnen?«
»Sie haben mir noch nicht gesagt, welche Sendungen Sie gesehen haben. Wenn ich das wüßte, könnte ich Ihre Frage leichter beantworten.«
»Ihr Kaffee ist vorzüglich«, sagte Borodin lächelnd. »Dürfte ich noch eine Tasse haben? Nein, bleiben Sie sitzen, ich gieße mir selber welchen ein. Wissen Sie, Jelisaweta Pawlowna, ich bin auf die Kassette mit der ersten und letzten Talkshow von Butejko gestoßen.«
»Was Sie nicht sagen.« Sie schüttelte erstaunt den Kopf. »Ich dachte, davon existierte gar keine Aufzeichnung mehr. Ich habe eher vermutet, Sie würden mir jetzt von einer seiner letzten Sendungen erzählen, dem Beitrag über meine Mutter.«
»Ja, den habe ich auch gesehen. Sagen Sie, Jelisaweta Pawlowna, warum haben Sie vor drei Jahren seine Talkshow platzen lassen?«
»Nun, wenn Sie die Aufzeichnung gesehen haben, müßten Sie sich eigentlich denken können, warum. Einem Untersuchungsführer wie Ihnen ist sicher aufgefallen, wie schlampig er seine Kriminalstory vorbereitet hatte.«
»Aber Sie müssen doch gewußt haben, daß Sie sich einen ernst zu nehmenden Feind schaffen.«
»Daran habe ich damals überhaupt nicht gedacht. Natürlich, später habe ich oft bereut, was ich getan habe. Aber damals, in der Talkshow, war ich schrecklich erbost.«
»Warum?«
»Das ist eine lange Geschichte.«
»Ich werde sie mir mit Vergnügen anhören.«
»Na schön, ich will versuchen, es zu erklären, obwohl ich Sie warne, das alles ist eine sehr emotionale Angelegenheit und hat wohl kaum etwas mit dem Mord zu tun. Ich weiß nicht, ob Sie auch die Aufzeichnung der Sendung ›Blitzlicht‹ gesehen haben, in der Artjoms Beitrag über den Milizionär und den Sänger gezeigt wurde?«
»Ja, den Beitrag habe ich gesehen.«
»Sie wissen sicher schon, daß dieser Milizhauptmann drei Jahre Gefängnis bekommen hat. Es ist nicht an mir zu beurteilen, ob zu Recht oder Unrecht, und es geht dabei auch eigentlich gar nicht um Gerechtigkeit. Durch Zufall wurde ich Zeugin eines Gesprächs zwischen dem Hauptmann und Artjom. Es war noch ein dritter dabei, ein Freund von Artjom, ich glaube, ein Schulkamerad von ihm. An den Namen erinnere ich mich nicht. Der Hauptmann war ins Haus des Films gekommen,
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