Russische Orchidee
sich aufzustehen. Das war gar nicht so einfach. Ein Schuh war in eine tiefe Pfütze gefallen, der andere steckte mit der Spitze des Absatzes zwischen den Gehwegplatten. Die dünne Eisschicht knirschte unter ihren Füßen, durch die Strumpfhose versengte ihr der Schnee die Fußsohlen.
»Bist du in Ordnung?« Malzew war schon neben ihr, faßte sie am Ellenbogen und drehte sie zu sich herum. »Wo tut es weh? Schnell, sag, wo tut es weh?«
Er war ohne Mantel, sein Jackett stand offen, die Krawatte war zur Seite gerutscht. Sie umarmte ihn, drückte ihr Gesicht an sein feuchtes Hemd und brach in Tränen aus.
»Mitja, Mitja, haben sie dich nicht getroffen? Bist du noch am Leben?«
»Du stehst ja barfuß im Schnee. Du wirst dich erkälten«, sagte er heiser und abgerissen und hob Warja auf seine Arme. So etwas erlebte sie zum ersten Mal. Nicht nur mit ihm, dem Herrn Minister, sondern überhaupt, in ihrem ganzen zwanzigjährigen Leben, hatte noch nie jemand sie auf die Arme genommen. Höchstens ihre Mutter, als sie noch ganz klein war, ja, und Hauptmann Sokolow, als er sie aus dem Wasser holte.
»Wenn dir etwas passiert wäre, wäre ich gestorben«, gestand sie völlig aufrichtig.
Er gab keine Antwort und ging schnell auf den Jeep zu. Er trug sie mit solcher Leichtigkeit, als wäre sie ein kleines Kind.
Die Leibwächter, der Chauffeur und die Männer vom Sicherheitsdienst des Clubs hasteten hin und her, jemand gab laute, abgehackte Befehle, das Einsatzkommando der Miliz untersuchte den Tatort. Aus dem Torbogen tauchte zuerst der Schäferhund mit heraushängender Zunge auf, dann sah man zwei männliche Gestalten, die aus der Dunkelheit ans Licht traten. Der eine Mann hielt den anderen am Ellbogen gepackt und schleifte ihn durch den Schnee. Die Arme waren ihm auf den Rücken gefesselt, er krümmte sich tief zusammen.
Hat man den Killer tatsächlich noch geschnappt? dachte Warja erstaunt.
Malzew bugsierte sie auf den Rücksitz des Jeeps, der herbeigeeilte Chauffeur zog sich schwungvoll seine warme Lederjacke aus, legte sie ihr über die Beine, schaltete die Heizung ein und schlug die Tür zu.
Warja beruhigte sich, langam wurde ihr wärmer, und sie hörte auf zu zittern. Sie kletterte auf den Vordersitz, drehte den Rückspiegel so, daß sie sich im Halbdunkel betrachten konnte. Schließlich mußte sie ihr Gesicht wieder einigermaßen herrichten. In ihren Manteltaschen fand sie nur ein Kaugummipapier. Die Handtasche, in der sie alles Nötige hatte – Taschentuch, Puderdose, Kamm –, war im Schnee liegengeblieben, zusammen mit den Schuhen. Große Lust, in Strümpfen aus dem Auto zu steigen, hatte sie nicht, andererseits tat es ihr um die Handtasche leid. Sie öffnete die Autotür einen Spaltbreit, um jemanden zu rufen. Aber der Chauffeur und der Leibwächter standen zu weit weg. Zusammen mit Malzew redeten sie mit den Milizionären, wahrscheinlich machten sie Zeugenaussagen.
Neben ihnen, direkt auf den schneebedeckten Betonplatten, lag ein Mann. Warja konnte seine schwarze Jacke und die gespreizten Beine erkennen. Er war es gewesen, der geschossen hatte, ihn hatte der Halter des Schäferhundes vor ein paar Minuten mit gefesselten Armen durch den Torbogen geführt.
»Verflixt, was soll ich nur tun?« murmelte Warja und schob die Tür noch ein Stück weiter auf.
In der feuchten Luft roch es nach Tabak, und sofort bekam sie Lust auf eine Zigarette. Aber auch die Zigarettenschachtel war in der Handtasche. Sie schaute sich um und bemerkte ganz in der Nähe einen kräftigen, untersetzten Mann, der rauchte und in den Schnee spuckte. Neben ihm saß mit heraushängender Zunge der Schäferhund. Aus seiner Schnauze dampfte es, seine Flanken bebten, er hechelte schwer und rasch.
»Entschuldigung, könnte ich eine Zigarette haben?«
Der Mann drehte sich um, trat auf die geöffnete Autotür zu und fischte noch im Gehen eine Schachtel aus der Tasche.
»Waren Sie das, der den Banditen geschnappt hat?« Warja nahm sich Feuer von seiner brennenden Zigarette.
»Nicht ich. Frida«, sagte der Unbekannte abgehackt, »sie hat ihn mit zwei Sätzen eingeholt, ich konnte sie kaum wegziehen.«
»Womit haben Sie ihn gefesselt?«
»Mit der Hundeleine.«
»Hat er aus dem Fenster geschossen?«
»Nein. Er ist auf das Vordach gestiegen.«
Durch die Windschutzscheibe blickte Warja zum Clubeingang hinüber. Das breite steinerne Vordach verlief direkt über der Eingangstür und erstreckte sich auf der Höhe des ersten Stockwerks weiter über
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