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Russische Orchidee

Russische Orchidee

Titel: Russische Orchidee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Polina Daschkowa
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aber keine Leine und keinen Maulkorb. Warja hatte keine Angst vor Hunden, wich aber instinktiv zur Seite, rutschte dabei aus und verlor das Gleichgewicht. Ihr spitzer Absatz blieb in einer Ritze zwischen den feuchten Platten des Gehwegs hängen, ihr Fuß verdrehte sich schmerzhaft, und Warja stürzte. Die Wimperntusche lief, in den Augen brannte es, sie konnte nichts mehr sehen, spürte nur den heißen Atem des Hundes. Aus dem Rachen des Tieres stank es unerträglich nach faulem Hering. In der Nähe stieß jemand einen lauten, obszönen Fluch aus. Durch Tränen und Schneesturm erkannte Warja zwei riesige Männergestalten, die neben ihr zu Boden fielen, und gleich darauf krachten drei Schüsse. Warja preßte das Gesicht in den Schnee und bedeckte den Kopf mit den Armen.
     
    Wowa Muchin huschte aus dem Hauseingang und rannte durch die Schneeverwehungen, fast ohne den Boden zu berühren. Lange konnte er dieses Tempo jedoch nicht durchhalten. Wowa war ein schlechter Läufer, außerdem war der Schnee tief und naß. Hinter sich hörte er Hundegeröchel. Im Laufen drehte er sich um und sah, daß ein riesiger Hund, groß wie ein Bär, ihn schon fast eingeholt hatte und ihn gleich zerfleischen würde. Er konnte an nichts mehr denken, ihm war völlig egal, ob er getroffen oder vorbeigeschossen hatte, Hauptsache, er entkam diesem Hund, Hauptsache, er blieb am Leben.
    In der Mitte des Hofes lag unter einer dünnen Schneeschicht ein glattes Stück Plastik, ein selbstgebasteltes Snowboard, wie es Kinder benutzen, um von Hügeln herunterzurutschen. Wowa Muchin glitt aus, der Hund war mit einem Sprung über ihm, seine kräftigen Zähne gruben sich in Wowas rechte Hand. Er versuchte den Hund mit der linken undmit den Beinen wegzustoßen, ohne den Schmerz zu spüren, denn mehr als alles andere fürchtete er, der Hund könne ihm an die Gurgel gehen.
    »Frida, her zu mir!« hörte er schon halb besinnungslos durch das Rauschen in seinen Ohren.
    Er begriff nicht sofort, daß der Hund ihn losgelassen hatte, wagte nicht, die Augen zu öffnen. Der Schmerz in der Hand durchbohrte ihn so heftig, daß er aus vollem Halse zu schreien begann.
    »Leise, leise, schrei nicht so laut, bleib ruhig liegen, gleich ist es vorbei«, erklang dicht an seinem Ohr eine vertraute Stimme, »gib mir deine Hand, nein, nicht die, die linke.«
    »Klim, es tut so weh, ich kann nicht«, stöhnte Wowa und bemühte sich mit aller Kraft, den Schrei zu unterdrücken, »es tut so wahnsinnig weh, sag mal, der Hund ist doch nicht tollwütig?«
     
    Daß Klim jetzt bei ihm war, beruhigte ihn, doch der Schmerz in der zerbissenen Hand wurde immer heftiger und war kaum noch zu ertragen.
    »Klim, tu doch irgendwas!«
    Klim handelte bereits. Er zog Wowa die dicke Jacke aus und schob den Ärmel seines Pullovers hoch. Wowa war so verwirrt, daß er gar nicht darüber nachdachte, was Klim hier im Hof machte, woher der Hund gekommen war und warum er Klim gehorchte, wieso Klim plötzlich eine Spritze in der Hand hatte und vor allem, was das für ein Medikament in der Spritze war.
    Das alles dauerte nicht länger als eine Minute.
    »Gleich wird es dir besser gehen.« Klim streifte ihm den aufgekrempelten Ärmel herunter, pfiff leise nach dem Hund, der etwas abseits saß und wartete, und gab Wowa einen Schubs. »Gehen wir.«
    Wowa war völlig benommen. Der Schmerz in der Hand hatte etwas nachgelassen, doch dafür wurden seine Beine weich, und ihm war heiß. Er begann heftig zu schwitzen, der Pullover wurde feucht, und nun fröstelte er so stark, daß er mit den Zähnen klapperte.
    Aber wie schlecht er sich auch fühlte, er bemerkte trotzdem, daß Klim ihn keineswegs in die richtige Richtung schubste, zur Straße hin, sondern zurück, auf den großen Torbogen zu.
    »Wohin? Was machst du?« ächzte er und versuchte stehenzubleiben.
    Aber da schlossen sich auch schon Fesseln um seine Hände. Er wimmerte vor Schmerz auf.
     
    Nach den Schüssen trat auf dem Vorplatz vor dem Club Stille ein, eine so lastende Stille, daß es Warja schien, als drücke man sie tief in den stechenden, feuchten Schnee. Erst allmählich kam wieder Leben auf. Aus dem Torbogen, der in den Hof führte, hallten rasche, laute Schritte herüber und das Knirschen des überfrorenen Schnees. Die Alarmanlagen mehrerer Autos auf dem Parkplatz begannen in verschiedenen Tonlagen zu heulen, schließlich hörte man aus der Ferne Sirenen. Die Miliz und ein Krankenwagen näherten sich dem Ort des Geschehens.
    Warja entschloß

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