Russische Orchidee
die Hündin vorläufig noch keine, aber ich kann nicht garantieren, daß sie sich in der nächsten Zeit nicht doch noch bilden. Stationäre Behandlung gibt es bei uns nicht, Sie müssen sie wieder mit nach Hause nehmen«, sagte der Arzt. »Die ersten zehn Tage wird es nicht einfach sein, der Verband mußtäglich gewechselt werden, die Nähte müssen behandelt werden. Sie wird Urin und Kot nicht halten. Können Sie ihr selber die Spritzen geben?«
»Wenn Sie es mir zeigen, ja.«
»Das ist nicht schwer. Sie sind also bereit, den Hund mit nach Hause zu nehmen?« fragte er und blickte an Lisa vorbei.
»Ja, natürlich. Jetzt sofort?«
»Nein, morgen. Ich muß sie erst noch eine Weile beobachten, es könnte Komplikationen durch die Narkose geben.«
»Wie, wollen Sie etwa die ganze Nacht bei ihr sitzen?« fragte Lisa erstaunt.
»Nach so schweren Operationen bleibe ich immer selbst bei den Tieren.«
»Ich bleibe bei Ihnen«, erklärte Lisa entschlossen.
»Gern, Hilfe kann ich immer brauchen.«
Es dauerte lange, bis die Hündin aus der Narkose erwachte, sie zitterte heftig, versuchte, auf die Beine zu kommen und den Verband abzureißen. In ihren Augen lag ein so tiefes Leiden und Begreifen, daß Lisa plötzlich wußte: Lotta würde nicht überleben. Sie würde sich noch eine Woche, vielleicht auch einen Monat quälen und dann sterben. Ihr Mann hatte recht gehabt. Es wäre ehrlicher und humaner gewesen, sie sofort einzuschläfern.
Lotta schaffte es irgendwie, sich den Verband abzureißen, und leckte und biß heiser winselnd an den Nähten. Der Arzt gab ihr eine Beruhigungsspritze, der Verband wurde gewechselt, Lotta knurrte noch einmal träge und schlief dann ein. Sie gingen ins Sprechzimmer, Juri Sacharow kochte auf der Kochplatte einen Kaffee.
»Vielleicht wäre es humaner gewesen, sie einzuschläfern?« sprach Lisa den Gedanken, der sie die ganze Zeit quälte, laut aus.
»Nein.« Der Arzt schüttelte den Kopf. »Sie merken immer,wenn ihre Besitzer sie zum Einschläfern bringen. Und Verrat ist für sie schlimmer als körperliche Schmerzen.«
»Ja, ich weiß, aber wenn man versucht, es zu verheimlichen, in ihrer Gegenwart nicht darüber zu sprechen?«
»Einem Menschen können Sie das verheimlichen. Einem Hund nicht.«
»Wieviel Zeit bleibt ihr?«
»Wenn sich keine Metastasen bilden, kann sie noch ein Jahr leben, bei guter Pflege auch zwei. Aber es wird ein kranker Hund sein, Sie müssen für ihn erheblich mehr Kraft und Zeit aufwenden als früher.« Er zündete sich eine Zigarette an, schwieg eine Weile, schaute zum Fenster hinaus und sagte schließlich mit ausdrucksloser, gleichgültiger Stimme: »Wenn es Ihnen zu schwer wird, rufen Sie mich an, ich komme und gebe ihr die Spritze.«
»Aber Sie haben doch gesagt, das kann ich selber machen.«
»Nein, diese Spritze können Sie nicht selber setzen.«
Außer ihnen und Lotta war niemand mehr in der Praxis, es herrschte völlige Stille. Plötzlich ertönte ein eigenartiges Klappern. Juri sprang auf und stürzte hinaus. Über den Flur wankte Lotta, sehr langsam, die Pfoten rutschten ihr weg. Sie schwankte hin und her und schleifte die zerbrochene Tropfflasche hinter sich her.
Als sie die Hündin wieder zurückgebracht und ihr einen neuen Tropf angelegt hatten, brach Lisa in Tränen aus. Zum ersten Mal in ihrem Leben konnte sie vor einem fremden Menschen nicht die Fassung bewahren, aber sie spürte keine Verlegenheit, auch später nicht, als sie sich wieder beruhigt hatte.
Juri Sacharow machte jeden Abend einen Hausbesuch. Sie hatte ihn nicht darum gebeten, er rief selbst an und kam,behandelte die Nähte, legte den Tropf an. In seiner Gegenwart schien Lotta sich besser zu fühlen. Sobald sie die Türklingel hörte, humpelte sie in die Diele und wedelte sogar schwach mit ihrem Stummelschwanz. Lisa wollte ihm Geld geben, aber er lehnte es ab. Sie kaufte eine Flasche französischen Kognak für ihn, er erklärte, daß er keinen Alkohol trinke.
»Juri Iwanowitsch, Sie bringen mich in eine unangenehme Situation«, sagte Lisa.
»Wieso? Die Operation und die Medikamente haben Sie bezahlt.«
»Aber Sie opfern so viel Zeit und Kraft, kommen jeden Abend hierher. Und außerdem weiß ich, daß eine solche Operation erheblich teurer ist.«
»Jelisaweta Pawlowna, ich gebe Lotta jetzt eine Injektion, und Sie kochen bitte Kaffee.«
Am folgenden Tag rief Lisa ihren Bekannten, den Hundefachmann, an und fragte, wie sie dem Tierarzt danken könne.
»Er nimmt kein Geld?
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