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Russische Orchidee

Russische Orchidee

Titel: Russische Orchidee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Polina Daschkowa
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wurde nun eine der Moderatorinnen der täglichen Nachrichtensendung und erschien zweimal wöchentlich allein auf dem Bildschirm. Außerdem moderierte sie jeden Montag die zwanzigminütige Sendung »Ganz persönlich« und plauderte in ungezwungener Atmosphäre bei einer Tasse Kaffee mit Politikern, Wirtschaftsexperten und Juristen.
    Ihre Popularität wuchs, es wurde schwierig für sie, auf die Straße und zum Einkaufen zu gehen. Man erkannte sie, starrte sie an, bat sie um ein Autogramm. Einige besonders hartnäckige Verehrer hielten sogar Wache vor ihrem Haus und lauerten ihr vor dem Fernsehzentrum in Ostankino auf. Kaum erschien sie bei irgendeinem gesellschaftlichen Ereignis, schon klickten die Fotoapparate und flammten die Blitzlichter auf. Ihre Fotos erschienen in einem guten Dutzend Boulevardzeitschriften, versehen mit giftigen Kommentaren.
    »Jelisaweta Beljajewa, dieses Muster an Wohlanständigkeit, zeigt niemals nackte Schultern oder Beine – hat sie vielleicht etwas zu verbergen?«
    »Wenn Sie glauben, das sei französischer Kognak im Glas der Beljajewa, dann irren Sie sich. Es ist nur Traubensaft. Frau Beljajewa trinkt keinen Alkohol, ißt kein Fleisch und zankt sich nie mit ihrem Mann, mit dem sie schon seit zwanzig Jahren zusammen lebt.«
    Eines Morgens verließ die zehnjährige Nadja das Haus, um die Hündin Lotta Gassi zu führen und den Müll wegzubringen. Da sprang plötzlich ein zerzauster junger Mann ausdem Gebüsch, riß ihr den Müllsack aus der Hand, kippte den Inhalt auf die Straße und begann ihn zu fotografieren. Lotta stürzte augenblicklich vor, um den Müll ihrer Familie zu verteidigen, entdeckte dabei einen nicht ganz abgefressenen Knochen und verbiß sich in das Hosenbein des jungen Mannes. Später stellte sich heraus, daß es sich um den freien Mitarbeiter irgendeines Boulevardblättchens handelte. Er war auf die originelle Idee verfallen, eine Reportage über den privaten Müll prominenter Persönlichkeiten aus Fernsehen und Showbusiness zu machen.
    Millionen Leute wollten wissen, in welche Schule ihre Kinder gingen, in welchen Geschäften sie ihre Lebensmittel kaufte, welches Parfum sie benutzte, was sie zum Frühstück aß, welche Tabletten sie bei Kopfschmerzen nahm.
    Man kann so leben, manchmal ist es sogar angenehm, aber nur so lange, wie man nichts zu verbergen hat.

Kapitel 12
    »Na, wieviel willst du für deine erbärmlichen Klunker denn haben?« fragte der bärtige Mann verächtlich und wog das Häufchen Schmuck auf seiner Hand.
    »Was heißt hier erbärmlich!« empörte sich Wowa Muchin. »Gib das wieder her, auf dem Arbat kriege ich allein für den Ring anderthalb grüne Riesen.«
    »Das kannst du dir abschminken! Du kriegst für alles zusammen nirgends mehr als fünfhundert.«
    In Wahrheit war Wowa schon auf dem Arbat gewesen, hatte mehrere Straßenhändler abgeklappert, und tatsächlich hatte ihm keiner mehr als fünfhundert angeboten. Wowa war aufrichtig empört. Im Juweliergeschäft kosteten genau die gleichen Smaragdohrringe siebenhundertfünfzig Dollar.
    Noch mehr fühlte er sich wegen des Ringes gekränkt. Es war ein antiker Ring, mit einem großen Stein, einem echten Smaragd, um den herum kleine Diamanten saßen. Und wenn man noch das emailverzierte goldene Armband und das Goldkettchen dazunahm, dann waren fünfhundert für alles zusammen schrecklich wenig.
    Andererseits durfte er diese heiße Ware auch nicht mehr lange mit sich herumschleppen. Die Sachen mußten verkauft werden, und zwar so schnell wie möglich.
    »Gut, gib mir meine Juwelen zurück, und ich bin weg«, knurrte Wowa und hoffte, der Mann werde wenigstens noch einen Fünfziger drauflegen.
    »Gehören die dir?« fragte der Bärtige mit listig zusammengekniffenen Augen.
    »Wem wohl sonst?« fragte Muchin entrüstet.
    »Schon gut. Fünfhundert, ohne Gefeilsche.« »Sechshundert.«
    »Siehst du da vorn unter dem Schutzdach neben der Metro die beiden Leutnants, die Fleischpiroggen essen? Die können wir ja mal holen und sie fragen, wieviel deine Klunker bringen – nicht an Dollars, sondern an Jahren.«
    »Fünfhundertfünfundzwanzig«, sagte Wowa traurig.
    Der Bärtige zeigte ihm schweigend fünf Hundertdollarscheine. Wowa streckte instinktiv die Hand aus und nahm sie. Beim Anblick von Geld, auch wenn es keine große Summe war, konnte er einfach nicht widerstehen.
    Wenn Wowa Muchin wenig Geld hatte, war er matt und reizbar, der Kopf tat ihm weh, und alle Zähne schmerzten gleichzeitig. Er war depressiv,

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