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Russische Orchidee

Russische Orchidee

Titel: Russische Orchidee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Polina Daschkowa
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Woche entschlossen. »Wann paßt Ihnen mein Besuch? Lisa, ich halte es ohne dich nicht aus«, fügte er im selben Atemzug hinzu, aber mit ganz anderer Stimme.
    Niemals! schrie Lisa innerlich auf. Niemals, um keinen Preis!
    »Aber ich möchte Ihnen keine Umstände machen. Eigentlich ist ja auch alles in Ordnung … Andererseits, wenn Sie nichts dagegen haben, könnte ich nach meiner Sendung nach Hause fahren, Lotta abholen und zu Ihnen in die Praxis bringen.«
    Was rede ich für einen Blödsinn? Meine Sendung ist um ein Uhr nachts zu Ende.
    »Heute sind Sie doch im Nachtprogramm, oder?«
    »Ja, richtig, dann besser morgen früh. Obwohl … Morgen vormittag habe ich eine Aufzeichnung … Entschuldigen Sie, was erzähle ich Ihnen für Unsinn.«
    »Ja, wirklich, Jelisaweta Pawlowna, wie lange wollen Sie mir und sich selber noch etwas vormachen? Schreiben Sie sich meine Adresse auf, und kommen Sie heute abend nach der Sendung zu mir nach Hause. Zusammen mit Lotta.«
    Sie notierte sich die Adresse in ihrem Kalender, und wieder befiel sie dieser sonderbare Schwindel, diese Schwäche, fast schon Übelkeit. Sie bekam Angst davor, in diesem Zustand auf Sendung zu gehen. Aus dem Spiegel des Schminkraums schaute sie eine verjüngte, verzückte Idiotin an. Die Augen funkelten, die Brauen schwangen sich zu erstaunten Bögen empor, die Linie des Mundes war weicher geworden, die Wimpern zitterten wie Schmetterlingsflügel. Etwas Hilfloses lag in ihrem Gesichtsausdruck.
    Die zwanzig Minuten der Sendung dehnten sich endlos.Lisa merkte, wie ihre Augen glänzten, wie ihre Lippen sich wie von selbst zu einem albernen, geheimnisvoll-glücklichen Lächeln verzogen, das völlig fehl am Platz war, denn das Thema der Sendung war der instabile Rubel und das Defizit im Staatsbudget.
    »Sie waren bezaubernd, Lisa«, versicherte ihr der Gast ihrer Sendung, ein älterer Finanzexperte, und küßte ihr förmlich die Hand, »wissen Sie, Sie hatten heute etwas ganz Besonderes. So einen Glanz in den Augen.«
    Zum ersten Mal seit vielen Jahren sprach sie ein völlig fremder Mann mit ihrem Vornamen an, zum ersten Mal schwang dabei auch ein spielerisch-herablassender Unterton mit. So pflegt man mit hübschen jungen Sekretärinnen zu reden. Es kam ihr vor, als starrten alle hier im Fernsehzentrum, vom Chefredakteur bis zum Beleuchter, sie mit einer unguten Neugier an.
    Wäre sie leichtsinniger und raffinierter gewesen, so hätte sie diese heimliche Affäre als schönen, vorübergehenden Abschnitt in ihrem Leben betrachtet, wie das Tausende von Frauen taten. Liebe, Leidenschaft – na und, das passiert jedem mal. Wozu daraus eine Tragödie machen? Genieße das Leben, aber lerne es, alle geschickt belügen – den Mann, die Kinder, den Liebhaber, dich selbst.
    Sobald sie ihre Wohnung betreten hatte, sagte sie ihrem Mann, ohne den Mantel auszuziehen, daß sie jetzt gleich mit Lotta zur Tierarztpraxis führe, um den Hund dem Arzt vorzustellen. Er fragte erstaunt, aber gleichmütig: »Mitten in der Nacht?«
    »Tagsüber muß man ewig lange warten«, stotterte sie und errötete.
    »Ich hatte den Eindruck, deine Beziehungen zu diesem Arzt seien von so herzlicher Natur, daß er Lotta auch außer der Reihe drannimmt.«
    »Mischa, was für Beziehungen soll ich zu einem Tierarzt haben?« Ihre Hände zitterten, und es wollte ihr nicht gelingen, die Leine am Halsband von Lotta zu befestigen.
    »Deine Beziehungen interessieren mich nicht, ich begreife nur nicht, warum du Lotta nicht tagsüber zur Untersuchung bringen kannst.«
    »Morgen habe ich Aufzeichnung.«
    »Morgen kann ich mit Lotta zum Arzt fahren.«
    »Morgen hat er keine Sprechstunde.«
    »Na schön, Lisa, tu, was du für richtig hältst.« Er nahm ihr die Leine aus der Hand und machte den Karabinerhaken am Halsband fest. »Aber vergiß nicht, die Schlüssel mitzunehmen. Ich werde schon schlafen, wenn du zurückkommst.«
    Sie küßte ihn zum Abschied. Von seinem Gesicht und seiner glattrasierten Wange wehte ein fühlbarer Hauch von Kälte.
    Juri wartete auf der Straße auf sie, an der Hofeinfahrt. Sie sah seine untersetzte, stämmige Gestalt schon von weitem und dachte zum letzten Mal: Mein Gott, was ist an ihm Besonderes? Warum gerade er?
    Als er sie umarmte, direkt auf der Straße neben dem Auto, als er, ohne ein Wort zu sprechen, hastig, gierig ihr Gesicht küßte, schien ihr plötzlich, als zucke im Gebüsch hinter der Kinderrutsche das weiße Feuer eines Blitzlichts auf.

Kapitel 13
    Erst im Alter lernte

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