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Russische Orchidee

Russische Orchidee

Titel: Russische Orchidee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Polina Daschkowa
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Merkwürdig. Eigentlich ist das ein sehr teurer Arzt. Es stimmt, Alkohol trinkt er überhaupt nicht. Tja, ich weiß nicht. Wenn es Sie so beunruhigt, schenken Sie ihm doch ein gutes Eau de Cologne.«
    Lisa kaufte ein teures Toilettenwasser für Männer. Juri nahm das Geschenk entgegen, aber am nächsten Abend zog er seinerseits eine Schachtel aus der Tasche und stellte sie auf ihren Toilettentisch – Chanel Nr. 19.
    »Aber Juri Iwanowitsch, das ist doch …« Lisa war wie vor den Kopf geschlagen.
    »Ich glaube, das ist Ihr Parfum. Und weiter wollen wir darüber nicht reden.«
    Lotta ging es immer besser, ihre Nase wurde wieder feucht und kalt, sie begann zu fressen, wollte nach draußen, und Lisa ging wie zuvor zweimal am Tag mit ihr auf den Hof. Die Hilfe des Tierarztes war nicht mehr nötig, aber als er anriefund fragte, ob er kommen solle, antwortete sie zu ihrer eigenen Überraschung: »Ja, bitte, wenn Sie können …«
    Sie saßen bis zum Morgengrauen in der Küche, und ihr Gespräch war sehr seltsam. Die Worte bedeuteten fast gar nichts. Es war das vertraute Geplauder zweier müder, nicht mehr junger Menschen, die sich sehr gut verstehen. In den Gesprächspausen herrschte eine schwere, heiße Stille, von der es beiden bis in die Fingerspitzen kribbelte.
    »Entschuldigen Sie, Juri Iwanowitsch, ich habe Sie mit meinem Geschwätz viel zu lange aufgehalten«, sagte Lisa erschrocken, als es draußen zu dämmern begann.
    Sie konnten zueinander nicht »du« sagen und sich einfach beim Vornamen nennen. Die Atmosphäre um sie herum war so spannungsgeladen, daß es schien, als würde ein einfaches »du« alles zum Explodieren bringen.
    »Auf mich wartet niemand«, sagte er mit tiefer, schwerer Stimme.
    »Trotzdem. Entschuldigen Sie. Es ist schon spät oder vielmehr früh. Zeit, schlafen zu gehen.«
    »Ja, natürlich.« Er erhob sich. »Dann fahre ich jetzt. Alles Gute.«
    In der engen Türöffnung stießen sie ungeschickt zusammen und blieben reglos stehen, Auge in Auge. Irgendein finsteres, wildes, völlig neues Gefühl stieg langsam brodelnd in Lisa hoch und füllte sie vollständig aus.
    Bin ich alte Närrin denn komplett verrückt geworden? schalt ihre vernünftige innere Stimme sie aus.
    Ihr war schwindlig, die Knie wurden ihr weich, aber trotzdem hatte sie noch genügend Kraft, sich wegzudrehen, seinen hartnäckigen Lippen auszuweichen und seine festen, warmen Hände abzuschütteln.
    »Lisa, ich kann nicht mehr. Ich bin nicht aus Eisen. Ich begreife ja, du bist verheiratet, aber ich bin allein, du weißt, ichhabe keine Frau, fahren wir doch zu mir.« Er starrte sie immer noch an, und erst jetzt bemerkte sie, daß er dunkelgraue Augen hatte und nicht schwarze, wie sie vorher gemeint hatte.
    »Gute Nacht, Juri Iwanowitsch. Entschuldigen Sie, daß ich Sie so lange aufgehalten habe. Alles Gute«, sagte sie heiser, ohne ihn anzusehen.
    Als sich die Tür hinter ihm geschlossen hatte, fiel sie aufs Bett und weinte, bitterlich, untröstlich, wie in der Kindheit über eine schlechte Schulnote. Lieber Gott, warum nur? Was ist denn an ihm Besonderes? Eine Zufallsbekanntschaft, ein ganz durchschnittlicher Mann. Wieso passiert mir das? dachte sie, während sie krampfhaft schluchzte wie ein Kind.
    Lotta kam angehumpelt, leckte ihr die Tränen vom Gesicht, schaute ihr neugierig, aufmerksam in die Augen, als wollte sie fragen: Was ist mit dir?
    »Mir geht es schlecht, Lotta. Ich weiß nicht, was ich jetzt tun soll«, murmelte sie und streichelte den Hund. »So etwas ist mir noch nie passiert und hätte mir nie passieren dürfen.«
    Jelisaweta Beljajewa, die promovierte Historikerin, Fernsehmoderatorin, Mutter zweier Kinder, treue Ehefrau, diese immer beherrschte und korrekte Person, hatte sich Hals über Kopf verliebt wie ein sechzehnjähriger Teenager. Zum ersten Mal in ihrem Leben.
     
    Am folgenden Tag fuhr Lisa zum Flughafen, um ihren Mann und die Kinder abzuholen. Der Urlaub war zu Ende, die Pflege von Lotta übernahm nun die Hausangestellte. Nach all den überstandenen Leiden war die Hündin rührend still und anhänglich geworden.
    Juri rief jeden Abend an, aber nun nicht mehr bei ihr zu Hause, sondern auf ihrem Handy, und fragte jedesmal eingehend nach dem Befinden der Hündin. Lisa bedankte sich höflich, berichtete detailliert, wie Lotta sich benahm, was siefraß, wie sie schlief. Dem Hund ging es gut, und so gab es anscheinend keinen Anlaß mehr für ein Treffen.
    »Ich muß Lotta untersuchen«, erklärte er nach einer

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