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Russische Orchidee

Russische Orchidee

Titel: Russische Orchidee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Polina Daschkowa
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Zimmer, in dem bis vor kurzem Artjom Butejko gewohnt hatte, der Partylöwe undWeltmann, der am liebsten Versace getragen hatte, sah nicht viel anders aus als das Wohnzimmer seiner Eltern. Nur ein nagelneuer japanischer Fernseher mit einem Videorecorder und eine ziemlich teure Stereo-Kompaktanlage stachen von dem Hintergrund öder, aufgeräumter Armseligkeit scharf ab.
    Die Kassetten mit den Interviews lagen in besonderen, beschrifteten Hüllen. Auf jeder Hülle stand das Datum und der Name des Interviewpartners.
    »Sie haben doch nichts dagegen, Jelena Petrowna, wenn ich sie für eine Weile mitnehme?« fragte Borodin.
    »Nein, bitte sehr, obwohl ich absolut nicht verstehe, wozu das alles nötig ist.«
    »Was genau meinen Sie?«
    »Die Verhöre, die Durchsuchungen, die Beschlagnahme der Kassetten. Es gibt so viele unaufgeklärte Fälle, so viele Verbrecher spazieren frei umher, und Sie verschwenden die Zeit auf eine Sache, die sonnenklar ist. Das verstehe ich nicht.« Sie zuckte ihre vollen Schultern, fast schon etwas kokett, und wieder blitzten ihre schneeweißen Zähne in einem Lächeln auf.
    »Wenn es um eine so ernste Sache wie einen Mord geht, darf man keinen Fehler machen«, erklärte Borodin müde.
    Während er die Kassetten in seine Aktentasche steckte, überflog er die Aufschriften. Eine Menge prominenter Namen. Butejko hatte bekannte Schlagersänger interviewt, Produzenten, skandalumwitterte Abgeordnete der Duma, operettenhafte Führer radikaler Splitterparteien. Eine Kassette betrachtete er eingehender als die anderen. Sie war nicht mit blauem Kugelschreiber beschriftet, sondern mit rotem Filzstift. In fetten, sorgfältig gemalten Druckbuchstaben stand darauf: »Beljajewa«. Genau die gleiche Aufschrift hatte Borodin schon auf zwei Audiokassetten und auf einer Videokassette entdeckt.
    »Beljajewa, das ist doch wohl die Fernsehmoderatorin?«
    »Genau, die berühmte Jelisaweta Beljajewa«, erwiderte die Butejko nicht ohne Stolz. »Übrigens hat sie mal mit Artjom zusammengearbeitet, beim selben Sender.«
     
    Krassawtschenko saß lässig zurückgelehnt im Sessel. Lisa war vom Fenster weggetreten und hatte sich ihm gegenüber in den anderen Sessel gesetzt. Der Schock war vorüber. Für eine richtige Erpressung, dachte sie, ist das alles zu dumm und zu billig. Überhaupt sind diese ganzen Annäherungsversuche, Andeutungen und tiefsinnigen Bemerkungen irgendwie unnatürlich. Aber ich wüßte langsam doch gern, warum er sich mir eigentlich so aufdrängt.
    »Nun, Anatoli Grigorjewitsch?«
    »Wie ich schon sagte, ich muß mit Ihnen reden.«
    »Dann tun Sie das. Ich bin ganz Ohr.«
    »In der heutigen Zeit fällt es den Menschen immer schwerer, einander zu erreichen, niemand denkt mehr an seinen Nächsten, jeder denkt nur noch an sich selbst.« Er seufzte tief und verdrehte ausdrucksvoll die Augen.
    Er will Zeit gewinnen, erriet Lisa plötzlich, er wartet auf irgend etwas. Mein Gott, wieso ist mir so übel? Vielleicht der Blutdruck?
    »Sie sind ja ein richtiger Philosoph.« Sie lächelte schwach. »Von Ihren tiefsinnigen und bedeutungsschweren Äußerungen kann man gar nicht genug bekommen.«
    »Es reicht!« Zum ersten Mal sprach er lauter und wurde puterrot. »Reden Sie nicht in diesem idiotischen Tonfall mit mir!«
    »Für einen Erpresser sind Sie reichlich nervös und empfindlich«, bemerkte Lisa mitfühlend.
    Einige Sekunden lang schwieg er. Sie sah, daß er mit aller Macht versuchte, seinen Ärger zu unterdrücken.
    »Ist Ihnen nicht gut, Anatoli Grigorjewitsch?« fragte sie leise und ernst, ohne einen Anflug von Ironie.
    »Wie kommen Sie darauf?« Er fuhr zusammen, und Lisa beglückwünschte sich insgeheim zu ihrem ersten kleinen Erfolg an diesem Abend.
    »Sie werden abwechselnd rot und blaß, und Ihre Hände zittern.«
    Er blickte alarmiert auf seine Hände. In Wirklichkeit war er weder blaß geworden, noch zitterte er. Dafür fühlte Lisa sich immer schlechter. Sie fröstelte heftig. Allerdings hatte sie immer Schüttelfrost, wenn sie übermüdet war.
    Sie sah Krassawtschenko ruhig in die Augen und sagte mit müder, gleichgültiger Stimme: »Wissen Sie, Anatoli Grigorjewitsch, verkaufen Sie diese unseligen Fotos, an wen Sie wollen. Mir ist es egal. Außerdem kann ich jederzeit im Fernsehen die komische Geschichte erzählen, wie ich durch Montreal geschlendert und zufällig ins Rotlichtviertel geraten bin. Das kann jedem passieren. In Paris gibt es die Place Pigalle, in New York die 47. Straße, dort wird man

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