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Russische Orchidee

Russische Orchidee

Titel: Russische Orchidee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Polina Daschkowa
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ist da?« ertönte nach etwa drei Minuten.
    »Borodin, Untersuchungsführer«, erwiderte er munter, »seien Sie so freundlich und machen Sie auf.«
    »Worum geht es denn? Haben Sie eine Genehmigung vom Staatsanwalt?«
    »Jelena Petrowna, ich will weder ein Verhör noch eine Durchsuchung durchführen. Ich möchte nur mit Ihrer Erlaubnis für eine Zeitlang die Kassetten mit den Interviews mitnehmen, die Artjom gemacht hat. Ich bringe sie Ihnen in ein paar Tagen zurück.«
    Die Türschlösser knirschten, die Kette klirrte. Langsam wurde die Tür einen Spaltbreit geöffnet. Drei teure, komplizierte italienische Schlösser und noch eine Kette und ein Riegel aus Stahl.
    »Ich bin gerade erst aufgestanden«, erklärte die Mutter des Mordopfers von oben herab. »Sie hätten Ihren Besuch auch vorher ankündigen können.«
    »Entschuldigen Sie, Jelena Petrowna«, Borodin lächelte schuldbewußt, »ich war gerade hier in der Nähe und dachte,ich schaue mal kurz bei Ihnen herein. Verzeihen Sie, daß ich Sie gestört habe. Ich brauche die Kassetten mit den Interviews, die Ihr Sohn gemacht hat, es ist wichtig.«
    »Interviews?« fragte die Butejko gleichgültig zurück. »Von mir aus. Tun Sie, was Sie wollen.«
    »Sie haben also nichts dagegen, wenn ich sie mitnehme?«
    »Nein, wieso, das ist ja Ihr Recht.«
    Jelena Petrowna ordnete ihr Haar, drehte Borodin demonstrativ den Rücken zu und ging in die Küche, wo sie einen Lappen nahm und sorgfältig die Plastikoberfläche der Anrichte abzuwischen begann, die gar nicht schmutzig war. Borodin trat sich die Füße ab und folgte ihr.
    »Jelena Petrowna, können Sie mich in Artjoms Zimmer begleiten? Ich weiß ja nicht, wo die Kassetten liegen.«
    Sie richtete sich mit dem Lappen in der Hand abrupt auf und wandte sich dann zu ihm um. Ihr Gesicht hatte sich völlig verändert – sie lächelte. Borodin fiel zum ersten Mal auf, was für schöne Zähne sie hatte, gleichmäßig, groß und weiß. Hatte sie etwa in ihrem Alter noch die eigenen? Wenn es falsche waren, dann hatte dieses strahlende Lächeln mindestens fünftausend Dollar gekostet, nicht weniger. Überhaupt, wenn man genauer hinsah, wirkte Jelena Butejko keineswegs wie eine bettelarme Rentnerin, deren Leben vorüber war.
    Ein glattes Gesicht, fast ohne Falten. Das Haar war heute getönt und gelegt. Wenn sie lächelte und sich gerade aufrichtete, konnte man sie durchaus auf vierzig schätzen. Und wenn man sie entsprechend anzog und schminkte – dann war sie eine sehr attraktive Frau.
    »Ja, natürlich, entschuldigen Sie. Bitte, nehmen Sie mir nicht übel, Ilja Nikititsch – so heißen Sie doch, nicht wahr?–, daß ich mich bei unserer ersten Begegnung so schrecklich benommen habe, aber Sie müssen meinen Zustand verstehen. Haben Sie Kinder?«
    »Nein.«
    »Dann sind Sie wahrscheinlich ein glücklicherer Mensch. Nach allem, was geschehen ist, glaube ich, es ist besser, keine Kinder zu haben. Möchten Sie Tee?«
    »Danke.« Borodin nickte erstaunt. »Da sage ich nicht nein.«
    »Kommen Sie, ich bringe Sie in Artjoms Zimmer und zeige Ihnen, wo die Kassetten liegen, Sie suchen sich heraus, was Sie brauchen, und inzwischen koche ich frischen Tee.«
    Borodin schien es, als habe man seine Gesprächspartnerin ausgewechselt. Irgendwas stimmte hier nicht. Sie wollte unbedingt verbergen, daß ihr Mann sich mit Juwelen auskannte – was übrigens durchaus verständlich war. Er hatte hier in der Wohnung illegal mit Gold und Edelsteinen gearbeitet, und sie hatte Angst, daß bei der Untersuchung diese alten Geschichten ans Licht kommen könnten. Unverständlich war etwas anderes. Aus welchem Grund hatte sie ihre Aussage so plötzlich geändert? Zuerst, an der Leiche ihres Sohnes, hatte sie von dreitausend Dollar gesprochen, und jetzt auf einmal gab es überhaupt keine Schulden mehr.
    »Treten Sie ein, Ilja Nikititsch, genieren Sie sich nicht. Entschuldigen Sie die Unordnung.«
    Beim letzten Mal hatte sie ihn in die Küche gebeten und die Tür zum Wohnzimmer fest geschlossen.
    Die Zimmer lagen hintereinander. Neben dem ausziehbaren Sofa stand eine alte Nähmaschine. Über einem Stuhl hing ein großes Stück bunten, billigen Stoffs. Alles in dieser Wohnung hatte einen Anflug von grauer Armut, von einer Art absichtlicher Billigkeit und Sparsamkeit. Borodin bemerkte einen großen, ordentlichen Flicken auf dem abgewetzten Sesselbezug, verschossene Leinenvorhänge und eine Stehlampe mit einem angesengten Plastikschirm.
    Das kleine daran angrenzende

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