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Russische Orchidee

Russische Orchidee

Titel: Russische Orchidee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Polina Daschkowa
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liebe Irène.«
    »Schon gut, Euer Erlaucht«, der Kaufmann schüttelte vorwurfsvoll den Kopf, »Sie heiraten meine Tochter, weil Sie kein Geld haben. Ihre Lage ist ausweglos, aber meine ebenfalls. Meine Irina ist ein spätes Mädchen, die Ärzte sagen, sie muß so schnell wie möglich unter die Haube, sonst wird sie noch richtig krank. Aber einen Kaufmann will sie nicht nehmen, und außer Ihnen haben bisher noch keine Herren mit Titel um sie angehalten und werden es auch wohl kaum noch tun. Außerdem hat sie sich in den Kopf gesetzt, daß sie unsterblich in Sie verliebt ist. Sie ist meine einzige Tochter, und für ihr Glück bin ich bereit, die Schulden Ihres seligen Herrn Vaters, des Grafen Iwan, ruhe er in Frieden, zu begleichen.« Der Kaufmann stand auf, verneigte sich tief vor den Ikonen im Gebetswinkel, bekreuzigte sich inbrünstig, setzte sich dann wieder und fuhr fort: »Ich bin bereit, Sie vor dem Schuldturm zu retten, aber kommen auch Sie uns entgegen, Euer Erlaucht. Seien Sie meiner Irina ein guter Ehemann, leben Sie ehrlich und christlich mit ihr.«
    »Wie denn sonst, lieber Tichon Tichonowitsch?« erwiderte der Graf lächelnd. »Natürlich christlich.«
    Der Kaufmann maß ihn mit einem langen, aufmerksamen Blick und sagte nachdenklich: »Nun, sehen Sie zu, Euer Erlaucht. Sie stehen mir im Wort.«
    Eine Woche später steckte ganz Moskau die Köpfe zusammen und tuschelte darüber, daß der Goldgrubenbesitzer Boljakin die Gläubiger des Grafen Paurier ausgezahlt habe.
    Am 22. April 1900 wurde in der Kirche des HeiligenPimen Graf Michail Iwanowitsch Paurier mit der Jungfer Boljakina, Tochter des zur Ersten Gilde gehörenden Kaufmanns Boljakin, getraut. In der feinen Moskauer Gesellschaft galt diese Verbindung als recht pikant. Irinas Urgroßmutter war Stubenmädchen bei der Urgroßmutter des Grafen, Olga Karlowna Paurier, gewesen, und es fanden sich böse Zungen, die stichelten, der Graf sei nun Gnadenbrotempfänger bei einer Magd geworden.
    In der Nacht vor der Hochzeit holte Graf Michail aus einer verschlossenen Schublade seines Sekretärs, deren Schlüssel er immer bei sich trug, ein kleines antikes Silberkästchen hervor, das mit scharlachrotem Samt ausgeschlagen war. Auf einem Samtkissen lag eine Brosche in Form einer Orchideenblüte.
    Die Blütenblätter aus Platin waren beweglich und zitterten leicht auf seiner Handfläche. Die Topase schimmerten feucht im Halbdunkel, die Smaragde wirkten fast schwarz. Der Diamant »Pawel« warf Strahlen, fein und scharf wie Nadeln, in alle Richtungen. Es schien, als sauge der Kristall alles Licht im Zimmer in sich auf. Der Graf führte den Stein ganz nah an seine Augen, so wie er es als Kind immer getan hatte, und erblickte viele zarte, kleine Regenbogen.
    Er stellte sich Irinas dunklen Schnurrbart und ihren üppigen Busen vor, seufzte tief, legte die Brosche zurück in die Schatulle und verschloß sie in der Schublade des Sekretärs.
    Gleich nach der Hochzeit brachen die Jungvermählten zu einer Reise ins Ausland auf. Das Jahrzehnt vor dem Ersten Weltkrieg war für Europa vielleicht das friedlichste und glücklichste in seiner ganzen Geschichte. Das zwanzigste Jahrhundert versprach tatsächlich vernünftig, barmherzig und fortschrittlich zu werden. Die Entfernungen zwischen den Ländern und den Menschen verringerten sich. Fahrrad, Automobil, elektrische Bahnen machten das Reisen leicht,angenehm und für alle möglich. Die Menschen in Europa bekamen ein neues Gefühl für den Raum und für sich selbst in diesem Raum. Sie wurden gesünder, schöner und sportlicher. Die Damen verzichteten auf Korsetts, Sonnenschirme und Schleier, fürchteten sich nicht mehr vor Sonne und Wind, kürzten ihre Röcke, liefen auf den Tennisplätzen herum, lernten schwimmen, Ski laufen, Auto fahren.
    Irina, nun verehelichte Gräfin Paurier, wurde nicht müde zu predigen, daß die Begeisterung für Sport unsittlich sei und die Beschäftigung damit der weiblichen Gesundheit nur schade.
    In Paris trat Sergej Djagilew mit seinem russischen Ballett auf. Graf Michail war ein Ballettnarr, aber zum ersten Mal konnte er sich an einer Aufführung nicht erfreuen. Irina genierte sich nicht, ihn laut flüsternd zu schelten, ständig vermutete sie, sein Opernglas sei nicht auf die Bühne gerichtet, sondern auf die Nachbarloge, wo im Halbdunkel die entblößten Schultern der bekannten Pariser Kokotte Mademoiselle de Pougis schimmerten.
    In Rom machte Irina ihm eine Szene, weil sie glaubte, das hübsche

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