Russische Orchidee
auch am Arm gefaßt und bekommt gezeigt, was einen erwartet. Ich wollte schnell weg und habe mich sehr gefreut, als ich einen Landsmann traf, den charmanten Diplomaten Anatoli Krassawtschenko. Wie ein echter Gentleman hat er mich aus dem Porno-Dschungel geführt, mich beruhigt und in ein Café eingeladen. Aber wie sich jetzt herausstellt, hat er vorher noch rasch ein paar Fotos für die Nachwelt geschossen.«
»Möglich.« Er nickte. »Ich gebe zu, diese Fotos sind nicht so schlimm für Sie. Aber angenehm sind sie auch nicht. Und wenn man noch diese Geschichte in Ihrem Privatleben hinzunimmt …«
»Wissen Sie, Anatoli Grigorjewitsch, ich werde Sie höchstwahrscheinlich wegen Erpressung verklagen. Unddamit wollen wir uns jetzt voneinander verabschieden. Es ist drei Uhr nachts. Ich will endlich schlafen gehen.«
Sie war tatsächlich schon so müde, daß ihr die Zunge kaum noch gehorchte, Arme und Beine waren ganz schlaff geworden und zitterten, vor den Augen verschwamm ihr alles. Sie zwang sich, aus dem Sessel aufzustehen, machte einen Schritt auf die Tür zu und wäre fast gestürzt, weil ihr die Beine wegknickten. Sie konnte sich gerade noch am Türrahmen festhalten, kniff für einen Moment die Augen fest zusammen, um wieder zu sich zu kommen, aber ihr wurde noch schlechter. Mit Mühe ertastete sie den Türknopf, machte die Tür weit auf und sagte so laut wie möglich: »Gute Nacht, Anatoli Grigorjewitsch.«
Doch ihre Stimme klang unnatürlich dumpf.
Krassawtschenko blieb sitzen, schaute zu Boden und zupfte nervös an einer Ecke des Spitzendeckchens, das auf dem Couchtisch lag.
»Wenn Sie jetzt nicht sofort gehen, rufe ich den Nachtportier«, sagte Lisa leise und merkte, daß sie das Bewußtsein verlor.
»Dazu müßten Sie erst mal Schuhe anziehen. Sie wollen doch wohl nicht barfuß in den Flur gehen? Übrigens werden Sie kaum imstande sein, mehr als ein paar Schritte zu machen. Ihnen ist übel, ich sehe es.«
Sie wollte schreien, aber der Schrei blieb ihr im Hals stecken. Ihr Körper fühlte sich fremd an. Sie merkte, wie sie langsam zu Boden glitt, konnte aber nichts dagegen tun. Krassawtschenko schloß lautlos die Tür, trat rasch zu ihr, faßte sie unter die Arme und schleifte sie wie eine Puppe zum Sessel. Sie sah, hörte und begriff alles, konnte sich aber nicht rühren. Sie versuchte noch einmal zu schreien, doch aus ihrer Kehle drang nur ein schwaches Ächzen.
»Sprechen können Sie«, erklärte ihr Krassawtschenko undsetzte sie in den Sessel, »aber nur flüsternd, so leise, daß nur ich Sie höre und sonst niemand. Versuchen Sie nicht, sich zu bewegen. Das ist Kraftverschwendung. Ich habe in Ihren Wein zehn Milligramm einer Substanz geschüttet, die ›ASch-709‹ heißt. Das ist ein Gift. Das Gegengift habe ich bei mir, ich gebe es Ihnen, sobald Sie mir ein paar Fragen beantwortet haben.«
»Reden Sie keinen Unsinn«, flüsterte Lisa heiser, »bei den meisten Vergiftungen braucht man kein Gegengift, sondern muß den Magen auspumpen. Sie konnten gar nichts in meinen Wein schütten. Ich hätte es bemerkt.«
»Die Wimper«, erinnerte sie Krassawtschenko.
»Man wird Sie verhaften …«
»Lisa, es wird Zeit. Wenn ich merke, daß Sie lügen, findet das Stubenmädchen morgen Ihre Leiche in diesem Hotelzimmer. Die Obduktion wird ergeben, daß Sie an einem Herzanfall gestorben sind. Niemand hat gesehen, wie ich das Zimmer betreten habe, niemand wird mich sehen, wenn ich es verlasse. Ihrer Familie hat ein Datschengrundstück in der Siedlung ›Bolschewik‹ an der Sawelowskaja-Straße gehört.«
»Baturino …«
»Genau, vor der Revolution hieß die Siedlung Baturino, später hat man sie in ›Bolschewik‹ umbenannt. Hat einer von Ihren Verwandten das Land je umgegraben?«
»Ja.«
»Das gesamte Grundstück oder nur bestimmte Stellen?«
»Oma Klawa hat am Zaun Himbeeren gepflanzt. Onkel Waleri hat einen Gemüsegarten angelegt. Auf dem Grundstück war ein kleiner Teich, mehr ein Tümpel, ganz am Ende, beim Eichenwäldchen.«
»Richtig. Dort ist noch das runde Steinfundament eines Gartenpavillons erhalten.«
»Dort konnte man gut Holz hacken.«
»Hat irgendwer mal dort die Erde umgegraben?«
»Nein. Dort wurde nur das Holz für den Ofen gehackt. Brennesseln wuchsen dort … Mir ist schlecht, ich kann nicht atmen …«
»Sind Sie sicher, daß am Tümpel beim Wald keiner Ihrer Verwandten jemals die Erde umgegraben hat?«
»Möglicherweise früher, bevor ich geboren wurde oder als ich noch ganz
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