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Russische Volksmaerchen

Russische Volksmaerchen

Titel: Russische Volksmaerchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anton Dietrich
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möchte.
    Nach langer Reise gelangte er in ein Schloß. Er ging hinein und durchschritt viele Zimmer, aber er traf keinen einzigen Menschen. Endlich gelangte er in einen großen, reichen Saal, und erblickte seine Mutter in königlicher Tracht, auf einem Sessel. Nachdem sie sich auf das Zärtlichste begrüßt hatten, sagte er ihr, daß er mit seinen Brüdern schon lange Zeit reise, um seine liebe Mutter aufzusuchen. Da sagte die Königin zu Iwan Zarewitsch, der Geist würde sogleich kommen, und befahl ihm, sich mit ihrem Kleide zu verhüllen. »Wenn der Geist erscheint,« sprach sie weiter zu ihm, »und mir mit Liebkosungen schmeichelt, so bemühe dich, mit beiden Händen seinen Zauberstab zu ergreifen. Er wird sich mit dir empor heben, aber fürchte dich nicht, und laß es ruhig geschehen; er wird sich dann wieder auf die Erde niederlassen, und in kleine Stücke zerfallen. Sammle diese alle, verbrenne sie, und zerstreue die Asche auf dem Felde.« Kaum hatte die Mutter diese Worte geendigt und ihn unter ihre Kleider versteckt, so kam der Geist und fing an, der Königin mit Liebkosungen zu schmeicheln. Da sprang Iwan Zarewitsch nach dem Rath seiner Mutter hervor, und ergriff den Zauberstab. Der Geist ergrimmte gegen den Zarewitsch, flog in die Höhe mit ihm, ließ sich dann auf die Erde nieder, und zerfiel in kleine Stücke. Darauf sammelte der Zarewitsch die Stücke, und verbrannte sie, und behielt für sich den Zauberstab. Er nahm seine Mutter und die drei Königinnen mit sich, die er befreit hatte, kam an eine Eiche, und ließ sie auf einer Leinewand alle vom Berge hinunter gleiten. Als seine Brüder sahen, daß er noch allein auf dem Berge war, rissen sie ihm die Leinewand aus den Händen, zogen mit ihrer Mutter und den Zarentöchtern in ihr Reich zurück, und nahmen diesen einen Schwur ab, daß sie ihrem Vater sagen sollten, sie wären von ihnen gefunden worden.
    Also blieb Iwan Zarewitsch allein auf dem Berge, und wußte nicht, wie er herunter kommen sollte. Gedankenvoll ging er auf dem Berge herum, und warf den Zauberstab aus einer Hand in die andere, als plözlich vor ihm ein Mensch erschien, und ihn fragte: »Was ist dir gefällig, Iwan Zarewitsch?« Dieser verwunderte sich, als er einen Menschen vor sich sah, und fragte ihn, wer er sei, und wie er auf diesen unbewohnten Berg gekommen. »Ich bin ein Geist, und war dem unterthänig, welchen du vernichtet hast; da du aber jezt seinen Zauberstab besitzest, und ihn aus einer Hand in die andere geworfen hast, was du immer thun mußt, wenn du meiner bedarfst, so bin ich gekommen, um dir zu dienen.« – »Gut,« sagte Iwan Zarewitsch zu dem Geiste, »so leiste mir jezt den ersten Dienst und trage mich in mein Reich.«
    Sobald er diese Worte ausgesprochen hatte, erschien er in einem Augenblicke in seiner Vaterstadt. Aber er wollte erst wissen, was in dem Schlosse vorgehe, deßhalb ging er nicht sogleich dahin, sondern trat bei einem Schuster in Arbeit, weil er glaubte, daß man ihn in diesem Stande so bald nicht erkennen würde. Den folgenden Morgen ging der Schuster in die Stadt, um Leder einzukaufen, und besoff sich tüchtig. Deßwegen konnte er nicht selbst arbeiten, und gab Alles seinem neuen Gesellen; dieser aber, weil er nichts von solcher Arbeit verstand, rief seinen Geist zu Hülfe, befahl ihm, aus dem Leder Schuhe zu verfertigen, und legte sich selbst schlafen. Als der Meister frühmorgens erwachte, ging er, nachzusehen, was sein Geselle gemacht habe. Da er aber sah, daß dieser noch schlief, ward er zornig und schrie ihn an: »Ach du fauler Mensch, habe ich dich denn zum Schlafen angenommen?« – »Schimpfe nicht,« antwortete ihm Iwan Zarewitsch, indem er sich langsam dehnte, »gehe erst in die Werkkammer und siehe zu, was du findest.« Der Meister ging in die Werkkammer, und wie groß war sein Erstaunen, als er viele Paare Schuhe fertig da stehen sah. Er trat näher und nahm einen Schuh, um die Arbeit zu betrachten, aber da wurde sein Erstaunen noch größer, und er traute seinen Augen kaum, denn die Schuhe hatten keine Nath, und waren wie gegossen. Darauf nahm er seine Waare und ging in die Stadt, sie zu verkaufen, und als man die wunderbaren Schuhe sah, kaufte man sie in wenigen Augenblicken alle. Bald wurde er so berühmt, daß man auch im Schlosse von ihm hörte; da ließen ihn die Königstöchter zu sich rufen, und bestellten viele Dutzend Schuhe bei ihm; aber er sollte sie alle den folgenden Morgen fertig gemacht haben. Er wollte ihnen vorstellen,

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