Russische Volksmaerchen
Zarewitsch trat ihnen auch diese Reiche ab; er selbst aber ließ sich mit seiner Königin in dem goldenen Reiche nieder. Auch den Schuster nahm er zu sich, und so lebten sie viele Jahre in Glück und Frieden
6. Geschichte von dem berühmten und tapfern Ritter Ilija, dem Muromer, und dem Räuber Nachtigall.
In der berühmten Stadt Murom, in dem Kirchdorfe Karatscharowa, lebte ein Bauersmann, namens Iwan Timofejewitsch. Der hatte einen geliebten Knaben Ilija, den Muromer. Dieser saß und konnte nicht gehen dreißig Jahre lang; da fing er an, gesund auf den Füßen zu wandeln und fühlte in sich große Kraft, machte sich eine kriegerische Rüstung und einen stählernen Spieß, sattelte sein Ritterroß, ging zu seinem Vater und zu seiner Mutter, und bat sie um ihren Segen: »Mein Herr Vater und meine Mutter, entlaßt mich, damit ich in der berühmten Stadt Kiew zu Gott bete und den Fürsten von Kiew begrüße.« – Sein Vater und seine Mutter gaben ihm den Segen, nahmen ihm einen schweren Eid ab und sprachen: »Gehe gerade in die Stadt Kiew, gerade in die Stadt Tschernigof, und thue kein Unrecht auf deinem Wege, vergieße nicht umsonst christliches Blut.« Ilija, der Muromer, empfing den Segen von Vater und Mutter und betete zu Gott. Dann nahm er Abschied von beiden Aeltern, machte sich auf den Weg und ging so weit in einen finstern Wald, bis er auf ein Lager von Räubern traf. Die Räuber erblickten Ilija, den Muromer, in ihren Herzen entbrannte räuberische Lust zu seinem ritterlichen Roß, und sie sprachen unter einander: »Lasset uns das Roß wegnehmen, denn es ist so schön, wie wir es noch nirgends gesehen, und jetzt sitzt auf so gutem Rosse ein unbekannter Mensch.« Und sie begannen Ilija, den Muromer, anzuhalten zu fünf und zwanzig Mann. Ilija, der Muromer, hielt sein Ritterroß an, nahm aus seinem Köcher einen trockenen Pfeil, legte ihn auf den straffen Bogen und schoß den trockenen Pfeil ab, auf den Boden, daß er drei Arschinen weit die Erde aufriß. Als die Räuber dies sahen, entsetzten sie sich, traten in einen Kreis zusammen, fielen auf die Knie und sprachen: »Herr, unser Vater, kühner, guter Jüngling, wir sind schuldig vor dir; für unsere so große Schuld nimm Schätze so viel dir beliebt, und bunte Kleider und Roßheerden, so viel dir gefällig.« Ilija lächelte und sprach: »Was soll ich mit euren Schätzen machen? Wenn ihr aber am Leben bleiben wollt, so wagt in Zukunft so etwas nicht wieder.« – Und er zog seine Straße der berühmten Stadt Kiew zu, und kam vor die Stadt Tschernigof, und bei dieser Stadt stand ein heidnisches Heer, so stark, daß man es nicht zählen konnte, und sie wollten die Stadt Tschernigof zerstören, die Gotteshäuser in die Luft sprengen, und den Fürsten und Wojewoden von Tschernigof selbst lebendig in die Sklaverei abführen. Vor dieser Macht erschrak Ilija, der Muromer; aber er warf alle seine Sorgen auf den Allerhöchsten und entschloß sich, sein Haupt für die christliche Religion hinzugeben. Er fing an, das ungläubige Heer mit dem Wurfspieße zu schlagen, zerstreute das ganze Heer, nahm den Fürsten des ungläubigen Heeres gefangen, und führte ihn in die Stadt Tschernigof. Da kamen ihm die Bürger Tschernigof's entgegen; voran ging der Fürst und Wojewode von Tschernigof selbst. Sie dankten ihm, und mit ihnen zugleich brachte er seinen Dank Gott dem Herrn dar, daß er der Stadt Rettung geschickt und nicht gestattet hatte, daß sie vertilgt werde, von einer so ungläubigen Macht.
Sie führten Ilija, den Muromer, in den Pallast, bereiteten einen großen Schmaus, und entließen ihn alsdann. Da ritt Ilija, der Muromer, nach Kiew, die gerade Straße, welche der Räuber Nachtigall seit dreißig Jahren inne hatte, und wo er weder Reiter noch Fußgänger vorüberziehen ließ, indem er sie tödtete, nicht mit Waffen, sondern mit seinem räuberischen Pfeifen. Ilija, der Muromer, kam in das freie Feld und ritt in den Brianskischen Wald, den er in der Ferne erblickte, auf morastigen Strecken, über Brücken von Wasser-Hollunder zu dem Flusse Smarodienka. Aber der Räuber Nachtigall ahnete sein nahes Unglück, und als Ilija, der Muromer, noch zwanzig Werst weit von ihm entfernt war, ließ er sein starkes räuberisches Pfeifen erschallen. Allein das Heldenherz erschrak nicht, und als er noch zehn Werst weit von ihm war, da pfiff er so stark, daß das Roß unter Ilija, dem Muromer, auf die Knie stürzte. Da gelangte Ilija, der Muromer, an sein Nest, das auf
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