Russische Volksmaerchen
»He da, Fürst von Kiew, schicke dem Krüppel ein Almosen!« Als ihn der Fürst erblickte, sprach er: »Komme in meinen Pallast, ich will dir zu essen und zu trinken geben und dich mit Gold beschenken auf den Weg.« Da trat der Krüppel in das Zimmer und setzte sich an den Ofen. Hier saß auch der Götzendiener und verlangte zu essen. Da brachte man ihm einen ganzen gebratenen Ochsen, und er fraß ihn sammt den Knochen auf. Dann verlangte er zu trinken, und 27 Menschen brachten einen Kessel voll Bier. Da nahm er ihn am Henkel und leerte ihn bis auf den Grund. Darauf sprach Ilija, der Muromer: »Mein Vater hatte eine gefräßige Stute, die verzehrte so viel, daß sie verreckte.« Da ergrimmte der Götzendiener und sprach: »Was bindest du mit mir an, du armer Krüppel? Du bist für mich nichts: ich setze dich auf die flache Hand und drücke mit der andern, so wird es nur feucht sein. Ihr habt einen großen Helden gehabt, Ilija, den Muromer, mit dem möchte ich einen Kampf bestehen.« – »Hier ist er!« sprach dieser, nahm seinen Hut ab, und schlug ihn damit an den Kopf, nicht zu sehr, aber doch so, daß der Kopf die Mauer des Schlosses durchstieß. Ilija nahm dann auch den Rumpf und warf ihn auf den Hof. Dafür belohnte ihn der Fürst reichlich und behielt ihn an seinem Hof als den ersten und gewaltigsten Ritter.
7. Das vollständige Märchen von dem berühmten und tapfern Helden Vowa Korolewitsch und der schönen Königstochter Druschnewna.
In der berühmten Stadt Anton herrschte der tapfere und mächtige König Guidon. Der hörte von seinen Leuten und fremden Gästen viel von der Schönheit der Prinzeß Militrisa Kirbitowna. Er wünschte sie zu sehen und reiste in dieser Absicht in die Stadt Dimichtian zu ihrem Vater, wo er sie viele Male sah und sich in sie verliebte. Als er aus der Stadt Dimichtian in seine Stadt Anton zurückgekehrt war, schickte er als Gesandten seinen Diener Litscharda zu dem König Kirbit Wersoulowitsch, dem Vater der Militrisa Kirbitowna, damit er seine Tochter bei ihm zur Gemahlin erbäte für ihn. Diesem Litscharda gab er eine eigenhändige, und mit seinem Insiegel versehene Urkunde, und in dieser Urkunde bat er den König Kirbit Wersoulowitsch, daß er ihm seine Tochter Militrisa Kirbitowna ablassen möchte. Als Litscharda in der Stadt Dimichtian angekommen war, übergab er dem König Kirbit Wersoulowitsch die Urkunde vom König Guidon, und bewarb sich bei ihm um seine Tochter zur Gemahlin für seinen König. Kirbit Wersoulowitsch nahm die Urkunde und las sie durch. Dann ging er sogleich zu seiner Tochter Militrisa Kirbitowna und sprach zu ihr: »Meine liebe und schöne Tochter Militrisa Kirbitowna, der Ruhm deiner Schönheit ist auch bis zu dem mächtigen und tapfern König Guidon gedrungen. Er war in meiner Stadt, um dich zu sehen, und hat dich schon sehr lieb gewonnen. Jezt hat er einen Gesandten geschickt, daß er um deine Hand für ihn werbe; ich habe diesem Gesandten schon mein Jawort gegeben und bin gekommen, dich davon zu unterrichten.«
Während der König Kirbit Wersoulowitsch diese Worte sprach, fing Militrisa Kirbitowna an zu weinen, und als dies der König Kirbit sahe, sprach er weiter zu ihr: »Gräme dich nicht, meine liebe Tochter, der König Guidon ist mächtig, berühmt und sehr reich, du wirst seine geliebte Gemahlin sein, und mit ihm die Herrschaft theilen. Ihm sein Gesuch abzuschlagen, ist unmöglich, denn er würde mit großer Heeresmacht vor unsere Stadt rücken, sie mit Sturm nehmen und dich mit Gewalt hinwegführen.« Als dies die Prinzeß Militrisa Kirbitowna hörte, fing sie an zu schluchzen, fiel auf die Knie vor ihrem Vater und sprach folgende Worte: »Mein Herr Vater, berühmter König Kirbit Wersoulowitsch, du hast über mich königliche und väterliche Gewalt, aber erlaube mir, die Wahrheit zu gestehen: den König Guidon habe ich in der Stadt gesehen, allein ich habe ihn nicht lieb gewonnen, sondern bin erschrocken vor ihm, darum fürchte ich mich jezt, zu ihm zu ziehen. Ich bitte dich, lieber Vater, deinen Sinn zu ändern und mich dem Zaren Dadon zu geben, welcher unser naher Nachbar und ein treuer Schützer und Hüter unseres Reiches ist.« – Aber der König Kirbit willigte nicht in ihre Bitte, und schickte sie dem König Guidon zur Gemahlin in die Stadt Anton. Guidon freute sich sehr über ihre Ankunft, und befahl, den folgenden Tag zu seiner Hochzeit ein großes Gastmahl zu bereiten, befreite alle Gefangenen und erließ alle
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