Russische Volksmaerchen
Schulden.
Drei Jahre lebte Guidon mit Militrisa Kirbitowna, und zeugte mit ihr den Vowa Korolewitsch, der von Gestalt kräftig, von Angesicht schön war; er wuchs aber nicht nach Tagen, sondern nach Stunden. Eines Tages berief die Königin Militrisa Kirbitowna den treuen Diener Litscharda zu sich und sprach zu ihm folgende Worte: »Leiste mir treu und ehrlich einen Dienst, Litscharda; ich werde dir dafür viel Gold, Silber und Edelsteine geben: bringe diesen Brief zu dem Zaren Dadon, aber ohne Wissen des Königs Guidon, und wenn du mein Gebot nicht vollziehst, Litscharda, so werde ich den Guidon gegen dich aufhetzen, und er wird dich eines bösen Todes sterben lassen.«
Litscharda nahm den geheimen Brief von seiner Königin, versprach, ihr treu zu dienen, setzte sich auf ein gutes Roß, kam zu dem Zaren Dadon und übergab ihm den Brief. Als Dadon den Brief gelesen hatte, lächelte er und sagte zu Litscharda: »Deine Königin scherzt entweder mit mir oder sie verhöhnt mich. Sie befiehlt mir, mit meinem Heere vor die Stadt Anton zu rücken, und verspricht, mir ihren Gemahl auszuliefern; aber ich halte es nicht für wahrscheinlich, da sie mit Guidon einen Sohn erzeugt hat.« – Darauf antwortete Litscharda: »Mächtiger und berühmter Zar Davon, wenn dir das im Briefe Geschriebene Mißtrauen erweckt, so laß mich in ein finstres Gefängnis setzen, und mich nur gut mit Speise und Trank versehen: sammle dein Heer und ziehe vor die Stadt Anton, und wenn das, was in dem Briefe geschrieben steht, sich nicht bewährt, so laß mich eines qualvollen Todes sterben.« –
Als Zar Dadon solche Worte von Litscharda hörte, freute er sich sehr, befahl in die Trompete zu stoßen und sammelte dreißig tausend Mann, zog dann vor die Stadt Anton und stellte sich mit seinem Heere auf die königlichen Wiesen. Sobald Militrisa Kirbitowna erfuhr, daß Zar Dadon mit seinem Heere vor der Stadt an einem verborgenen Orte stehe, schmückte sie sich mit ihren besten Kleidern, ging zu dem König Guidon und meldete ihm mit schmeichlerischen Worten, daß sie zum zweiten Male schwanger geworden sei, und daß sie das Fleisch eines wilden Schweines essen möchte, welches der König Guidon selbst erlegt hätte. Als Guidon so freundliche Worte von ihr hörte, wurde er sehr erfreut, befahl sogleich, sein gutes Roß vorzuführen, und ritt auf das Feld, um zu jagen.
Als er die Stadt verlassen hatte, befahl Militrisa, die Brücken aufzuziehen und die Stadtpforten zu schließen. Kaum näherte sich König Guidon dem Hinterhalte Dadon's, als ihn dieser erblickte und sogleich mit seinem Heere verfolgte. Guidon lenkte sein Roß nach der Stadt, und wollte sich durch die Flucht vor Dadon retten. Als er aber an seine Stadt kam und die Brücken aufgezogen und die Pforten zugeschlossen sah, wurde er traurig und rief mit Thränen aus: »Ach! ich Unglückseligster von allen Menschen! Jezt erkenne ich die abscheuliche Tücke meiner bösen Frau und empfange den von ihr gesendeten Tod. Aber du, mein geliebter Sonn Vowa, warum hast du mir nichts gesagt von der List deiner Mutter?« Als er diese Worte sprach, stürzte Dadon auf ihn, stieß mit seiner scharfen Lanze nach seinem Herzen, und die Lanze durchbohrte und tödtete ihn, und Guidon fiel von seinem Rosse. Als dies Militrisa Kirbitowna von der Stadtmauer sah, befahl sie, die Pforten zu öffnen und die Brücken herabzulassen, und kam dem Zaren Dadon unter der Stadtpforte entgegen, küßte ihn auf die Lippen, nahm ihn bei den weißen Händen und führte ihn in das weißsteinerne Schloß, und in den königlichen Pallast. Sie setzten sich an Eichentische nieder, und an feine, gewürfelte Tischtücher, und fingen an zu essen und zu trinken, und Kurzweil zu treiben. Und das kleine Kind Vowa Korolewitsch ging, so jung es auch noch war, als es dieses unschickliche Betragen seiner Mutter sah, aus dem Pallast in den Stall, setzte sich unter eine Pferdekrippe und war betrübt. Hier sah ihn sein Wärter Simbalda, vergoß Thränen bei seinem Anblicke und sprach folgendermaßen: »Mein Herr, lieber Vowa Korolewitsch, deine Mutter, die Verbrecherin, hat meinen guten König, deinen Vater, durch den Zaren Dadon umbringen lassen, und jezt ißt und trinkt sie und treibt Kurzweil mit dem Mörder in seinem Pallast. Du bist jezt noch jung, mein Kind, und kannst den Tod deines Vaters nicht rächen; es ist sogar zu fürchten, daß sie auch dich umbringen. Darum wollen wir von hier fliehen, um unser Leben zu retten, in die Stadt Sumin, in
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