Russische Volksmaerchen
brave Bursche. Er wurde zornig auf mich, befahl, mich zu fangen, und setzte mich in dieses Gefängnis, und hier sitze ich nun schon drei und dreißig Jahre.« – »Höre, Bulat, braver Bursche,« sprach Iwan Zarewitsch, »ich kann dich ohne meines Vaters Befehl nicht heraus lassen, denn wenn er es erführe, würde er auf mich zürnen.« – »Fürchte das nicht,« antwortete ihm Bulat, der brave Bursche, »dein Vater wird davon nichts erfahren: sobald du mich herausgelassen hast, werde ich in andere Länder gehen und nicht hier leben.« – »Wolan!« sprach Iwan Zarewitsch, »ich werde dich frei lassen, gib mir nur meinen trockenen Pfeil zurück, und sage, wo ich ein Ritterroß bekommen kann.« – »Gehe ins freie Feld,« sagte Bulat, der brave Bursche, »dort wirst du drei grüne Eichen sehen, und zwischen diesen drei Eichen auf der Erde eine eiserne Thüre mit einem kupfernen Ringe entdecken: unter dieser Thüre ist ein Stall, in ihm steht ein gutes Ritterroß, welches mit zwölf eisernen Thüren und zwölf Stahlschlössern eingeschlossen ist: hebe diese Thüre auf, schlage die zwölf Schlösser herunter und öffne die zwölf Thüren, so wirst du ein gutes Roß bekommen; auf diesem Rosse komme zu mir, ich werde dir deinen trockenen Pfeil zurückgeben, und dann lasse mich heraus von hier.«
Als Iwan Zarewitsch diese Worte gehört hatte, ging er in das freie Feld, gewahrte drei grüne Eichen, und fand die eiserne Thüre mit dem kupfernen Ring. Er faßte diesen Ring, hob die Thüre auf, schlug die zwölf Schlösser ab, öffnete die zwölf Thüren, und trat in einen Stall, wo er ein gutes Roß und eine Ritterrüstung erblickte. Iwan Zarewitsch legte seine Hand auf dieses Roß, und das Roß fiel nicht von seiner Hand auf die Kniee, sondern beugte sich ein wenig. Und als das Roß einen Reiter für sich hörte, fing es an mit lauter Stimme zu wiehern, fiel auf die Knie vor Iwan Zarewitsch und ließ sich von ihm den Zügel anlegen und satteln. Iwan Zarewitsch nahm das gute Roß, den Streitkolben und das Schlachtschwert, führte das Roß aus dem Stalle, setzte sich auf den tscherkassischen Sattel, und nahm den seidenen Zügel in seine weiße Hand. Da bekam er Lust, sein gutes Roß zu versuchen. Er schlug es auf die Hüfte, und das gute Roß ergrimmte, trennte sich von der Erde, erhob sich über den stehenden Wald und unter die gehenden Wolken, ließ Berg und Thal zwischen seinen Füßen, bedeckte kleine Flüsse mit seinem Schweife, übersprang tiefe Flüsse und große Sümpfe, und so gelangte Iwan Zarewitsch zu Bulat, dem braven Burschen, und sprach zu ihm mit lauter Stimme: »Gib mir nun meinen trockenen Pfeil zurück, Bulat, braver Bursche, dann werde ich dich guten Burschen aus der Haft entlassen.« – Bulat der brave Bursche, gab ihm sogleich seinen trockenen Pfeil wieder, und Iwan Zarewitsch entließ ihn alsbald aus der Gefangenschaft. »Ich danke dir, Iwan Zarewitsch,« sagte Bulat, der brave Bursche, »daß du mich aus dem Gefängnisse befreit hast. Ich werde dir noch treue Dienste leisten, sobald du dich in Noth befindest, und wenn du mich brauchst, so sprich nur: »Ach, wo ist mein Bulat, der brave Bursche?« und ich werde sogleich vor dir erscheinen, und dir in der Noth ein treuer Diener sein.« Und als er diese Worte gesprochen, rief er mit lauter Stimme:
»Siwka Burka! he!
Frühlings-Lichtfuchs! steh!
wie das Blatt vor'm Grase, hier
unverweilt vor mir!«
Da erschien plözlich vor Bulat, dem braven Burschen, ein Roß, und Bulat, der brave Bursche, kroch ihm in ein Ohr, aß und trank, und kroch durch das andere wieder heraus, und er ward ein so schöner Jüngling, daß man es sich nicht vorstellen, nicht mit der Feder beschreiben, noch im Märchen sagen kann. Alsdann setzte sich Bulat auf sein Roß und sprach: »So lebe denn wohl für jezt, Iwan Zarewitsch!« Und er ritt von ihm fort.
Iwan Zarewitsch setzte sich auf sein gutes Roß und ritt zu seinem Vater. Als er zu ihm kam, sagte er ihm mit Thränen Lebewohl, nahm nach dem Abschied seinen Wärter mit sich, und ritt mit ihm in fremde Länder. Und so ritten sie einige Zeit mit einander und kamen in einen Wald, und es war ein schöner und heißer Tag, und Iwan Zarewitsch bekam Durst. Sie ritten in dem Walde herum und suchten Wasser, konnten aber keines finden. Endlich kamen sie an einen tiefen Brunnen, in welchem sich Quellwasser befand. Da sagte Iwan Zarewitsch zu seinem Wärter: »Steige in diesen Brunnen und hole mir Wasser: ich werde dich an einen
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