Russisches Abendmahl
Maxims Augen magisch von der Honda angezogen zu werden, und seine wulstigen Lippen verziehen sich zu einem versteckten Lächeln.
Gromows nächstes Ziel führt ihn fünfzig Kilometer weiter südlich, vorbei an Kartoffeln- und Kohlfeldern und Kirschbäumen, dann einen Privatweg entlang, der zu verlassen ist, um ihm unbemerkt zu folgen. Ich rattere auf der Honda einen holprigen Wildpfad entlang durch ein schmales Nadelwäldchen bis zum Rand eines Hügels, parke und kämpfe mich eine harzende Eiche hoch.
Auf einer Lichtung mehrere hundert Meter entfernt steht eine Datscha von der Größe eines kleinen Hotels. Auf dem Gelände wimmelt es von Kindern. Ich habe mal an einem solchen Ort gelebt, ich weiß also, was ich da sehe, auch wenn ich gelernt habe, es zu vergessen. Die Datscha wird wahrscheinlich als Waisenheim oder Rehabilitationszentrum ausgegeben, aber in Wirklichkeit ist sie eine Farm, auf der Kindersklaven herangezogen werden.
Ich weiß nicht, wie lange Gromow hier bleibt. Ich lasse die Bilder und Klänge auf mich einwirken und rase zurück nach Moskau, um Valja zu finden.
15
Ich treffe Valja auf dem Platz gegenüber vom Imbiss an der Lubjanka Station, dort, wo der Tunnel zu Gromows Autohaus führt, das alte Rattenloch des FSB. Wir machen uns den Eigentümer mit einer Kombination aus Bestechungsgeldern und Drohungen gefügig. Eigentlich hatten wir einen Wachposten im Tunnel erwartet, aber Gromow ist zu faul oder zu dumm oder beides, jedenfalls ist der Gang unbewacht und wir schaffen es bis in sein Büro, ohne dass einer seiner Männer uns sieht. Valja sitzt hinter seinem Schreibtisch, während ich auf und ab gehe.
Gromow kommt um kurz vor sechs. Er bleibt wie angewurzelt stehen und wird kreidebleich, als er sie zurückgelehnt in seinem Stuhl sitzen sieht, mit ihren dick besohlten Doc Martens, von denen getrockneter Matsch auf seinen Schreibtisch bröckelt. Er ist zu langsam, um zu reagieren. Ich stehe schon hinter ihm mit meiner Sig, knete ihm den Lauf ins Kreuz und schiebe ihn weiter in den Raum hinein. Ich schließe die Tür mit dem Fuß.
»Du bist mir einen Gefallen schuldig«, sage ich.
Er lässt kurz den Kopf sinken, ohne sie aus den Augen zu lassen. Wahrscheinlich erinnert er sich an die schrecklichen Dinge, die sie mit ihm anstellen wollte.
Ich stoße ihn in einen Stuhl. »Zwei Dinge, dann sind wir quitt.« Er ist ziemlich kräftig, vielleicht nur fünfzehn Kilo leichter als Maxim, aber mit der Pistole im Nacken zahm wie ein Lamm.
»Wie gesagt«, antwortet er und sieht zum ersten Mal zu mir. »Sag, was du willst, und ich sorge dafür.«
»Zieh den Mordauftrag für die Soldaten zurück.«
Eine tiefe Furche zeichnet sich auf seiner Stirn ab. »Diese Scheißer haben mich reingelegt …«
»Ist mir egal.«
»Das schadet meinem Ansehen.«
»Ist mir auch egal.«
»Was hast du mit den Soldaten zu schaffen?«
Er war nie bei der Armee. Er würde es nicht verstehen. Die Antwort steht in meinem Gesicht geschrieben, das reicht ihm.
»Gut. Ich ziehe ihn zurück.« Er hebt die Arme in Schulterhöhe, streckt die Hände aus und versucht ein Lächeln, das ich nicht erwidere.
Es gibt noch anderes zu sagen. Aber das würde zu nichts führen. Ich sage zu mir selbst, was ich bereits weiß, dass es einfacher wäre, die Finger von dem Geschäft zu lassen. Wo eine Nachfrage ist, verbunden mit Geld oder Essen oder irgendeinem anderen Zahlungsmittel, wird es auch ein Angebot geben. Kinder werden benutzt und ausrangiert - elternlose, verschollene, gestohlene oder schlimmstenfalls verkaufte Kinder. Ihre verlassenen Seelen zählen nichts. Wenn nicht er, dann wird ein anderer daran verdienen, und dann wieder ein anderer einer Ekel erregenden Reihe, die kein Ende hat. Nacht wird es immer.
»Du sprachst von zwei Dingen.«
»Nein. Nur das eine.«
Als wir gehen, sitzt er immer noch zurückgelehnt in seinem Stuhl und scheint sich den Kopf zu zerbrechen.
Auf dem Weg ins Loft hakt sich Valja bei mir unter. »Der General würde es sowieso nicht verstehen.«
Sie hat recht. Der General denkt zu praktisch, um sich Gedanken über das Geschäft mit dem Fleisch oder ähnliches zu machen, zumal er weiß, dass er sowieso nichts dagegen machen kann. »Er muss es auch nicht wissen. Ich kann das auseinanderhalten.«
»Du hast es überlebt. Und ich auch.«
»Wir sind beide gebrochen.«
Dagegen hat sie kein Argument.
Die Gewohnheit trennt uns, als wir das mit Ruß verschmierte Industriegebäude erreichen. Ich steige als
Weitere Kostenlose Bücher