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Russisches Abendmahl

Russisches Abendmahl

Titel: Russisches Abendmahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brent Ghelfi
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Erstes über eine Feuerleiter auf das Dach der angrenzenden Apotheke, klettere über eine hüfthohe Brüstung und schlüpfe durch einen Fensterladen in den vierten Stock. Zwei brüchige Treppen weiter oben warte ich vor einer verriegelten Stahltür, bis Valja wieder bei mir ist. Ich öffne das Schloss mit einer anderen codierten Plastikkarte, und wir sind drinnen.
    Zuhause. Betonboden unter asiatischen Läufern, glühend rote Ahornmöbel, senkrechte vergitterte Fenster, fünf Meter hohe Decke, abgetrennter Küchenbereich mit einer Ausstattung aus gebürstetem Stahl, zwei Bäder, zwei Schlafzimmer. Alles in allem genügend Platz für fünf von Maschas Apartments.
    Valja sieht fern, während ich stundenlang am Computer und am Telefon hänge und ohne Erfolg nach einer Spur suche, die mich zu Lipman und Arkadij führt.
    Als wir endlich im Bett liegen, sagt Valja leise: »Der General setzt das Geld, das er von uns bekommt, für gute Zwecke ein. Wir sollten uns lieber auf unsere Arbeit konzentrieren, statt uns Gedanken um Leute wie Gromow zu machen.«
    Ich denke eine Weile darüber nach und betrachte dabei die Matroschka auf dem Sims neben dem Bett. »Vielleicht sind wir genauso schlimm wie Gromow und Maxim«, sage ich schließlich, aber sie ist schon eingeschlafen.
     
    Als ich aufwache, ist Valja weg, wohin weiß ich nicht. Die Funkstille seitens des Generals bedeutet, dass ich Zeit habe, mich mit Nabi übers Geschäft zu unterhalten. Ich betrete das Café durch die Hintertür und gehe die Treppe runter zu meinem Tisch im Keller, wo mich ein Stapel Papiere erwartet. Damit bin ich die Mittagszeit über beschäftigt, während von oben Geschirrgeklapper zu hören ist. Heute sind keine mysteriösen Fotos in der Post.
    Vadims Hakennase zuckt wie die eines Eichhörnchens, als er mir mein Tablett bringt. Er ist dünn wie eine Bohnenstange, nach einer ordentlichen Mahlzeit vielleicht fünfzig Kilo schwer, und seine Arme, mit denen er mir mein Essen serviert, sind knochendürr, aber ich weiß aus eigener Erfahrung, dass das täuscht. Er sieht, dass ich beschäftig bin, und spricht mich nicht an.
    Als ich mit dem Essen fertig bin, kommt Nabi. Ich frage ihn nach den Verkaufszahlen und Einnahmen, seine Angaben sind absichtlich kryptisch und für Uneingeweihte nicht zu durchschauen, für mich jedoch leider nur zu gut. Die Zahlen erwecken den Eindruck, ich stünde unter Beschuss, als wäre aus dem Nichts plötzlich die Konkurrenz aufgetaucht und hätte uns Kunden, Lieferanten und Angestellte abspenstig gemacht. Ebenso wie Alla hat auch Nabi keine Erklärung dafür.
    Am Ende unseres Treffens erzähle ich ihm, ich müsse eventuell das Land verlassen.
    Seine Pupillen springen auf und ab. »W-w-wann gehst du?«
    Nabi hat in Tschetschenien gedient. Ich habe einen Fuß verloren, er hat sich ein Stottern eingefangen. Irgendwie scheint sich alles auszugleichen. Bisher jedenfalls. »Ich warte auf Nachricht von jemandem.«
    »W-w-wie lange wirst du w-w-weg sein?«
    »Ich weiß nicht. Ein paar Tage, vielleicht eine Woche.« Kommt drauf an, wie lange ich brauche, um Lipman und die Leda zu finden. Nabi ist auffallend neugierig.
    »Geht V-v-valja m-m-mit dir?«
    Gute Frage. »Ich weiß nicht. Konzentrier dich aufs Geschäft, Nabi. Die Zahlen sind schlecht.«
    »Nigel hat nichts. Er steht immer n-n-noch unter Schock wegen der Sch-sch-schießerei.«
    »Dann such dir etwas anderes.«
    Er nickt hektisch. »K-k-kinder?«
    Warum läuft es immer darauf hinaus? Ist es mit Russland so weit gekommen, dass das Land nichts anderes mehr zu bieten hat? Ich zucke innerlich zusammen, als ich daran denke, vor welchem Kompromiss mich die Schießerei im National bewahrt hat.
    »Nein. Unter keinen Umständen.«
     
    An jenem Abend werde ich ins Waffenarsenal zitiert.
    »Lipman war in Prag«, sagt der General ohne lange Vorrede. »Er ist letzte Nacht im Intercontinental abgestiegen. Heute hat er ausgecheckt. Dort fängst du an.« Angewidert kräuselt er die fleischigen Lippen. »Prag ist heutzutage ein Ort, wo Männer wie er hinfahren.«
    Er meint verwestlicht. Ich weiß, dass er an eine Zeit denkt, als die Panzer der Roten Armee durch Prags enge Kopfsteinpflasterstraßen rollten, Ordnung mit Gewalt hergestellt wurde und politische Dissidenten als vermeintliche Selbstmörder aus dem Fenster gestoßen wurden.
    »Jawohl.«
    Der General schiebt mir ein dünnes Dossier rüber. »Das ist dein Kontaktmann.« Er hat die Ausstrahlung von Trockeneis, viel distanzierter als

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