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Russisches Abendmahl

Russisches Abendmahl

Titel: Russisches Abendmahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brent Ghelfi
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Ende sterben oder verschwinden. Beides würde Lipman alarmieren.
    Ich schreibe mir die Adresse der Medici Gallery auf, stecke den Zettel zurück an seinen Platz, schleiche zurück in mein Zimmer und wähle eine Nummer. Zehn Stunden später sitze ich in einer Boing 747 der Lufthansa Richtung New York. Segelohr macht einen vergnügten Eindruck. Wahrscheinlich denkt er, ich hätte nicht bemerkt, dass er zehn Reihen hinter mir sitzt.

21
    Ich nehme mir ein Zimmer in einem abgewrackten Hotel in Manhattans West Side. Durchgelaufener fusseliger Teppich, abgenutzte Möbel, geplatzter Lack und eine fleckige Tagesdecke zeugen von den Missgeschicken seiner ehemaligen Gäste. Das Zimmer ist größer als Maschas Moskauer Wohnung, und vielleicht gibt es auch weniger Ratten hier, aber es fühlt sich unerfreulich kälter an.
    Ich verstaue meine kleine Tasche und streune durch die belebten Straßen, um mich zu akklimatisieren. Lausche Gesprächen, eines davon in meiner Muttersprache. Dränge vorbei an Straßenverkäufern, Laufburschen, Touristen, Taschendieben, Polizisten, Restaurantgästen, Theatergängern, Huren und ihren Freiern - Dritte und Erste Welt, in unbehaglicher Umarmung miteinander verwoben. Ich atme Düfte ein, den Geruch von gekochtem Fleisch, Körperdünste. Ich spüre New Yorks schweren Atem wie Windstöße aus einem riesigen Blasebalg.
    Das letzte Mal war ich 2003 hier, als der General mich wegen meiner Prothese herschickte. Er sagte, er brauche mich ganz . Seitdem hat sich vieles verändert. Beim langsamen Anflug auf JFK war aus dem Flugzeugfenster eine
    Raketenbatterie zu sehen, die die Landung überwachte, wahrscheinlich aufgrund einer neuen Woge terroristischen Geschwätzes. Mein Taxifahrer distanzierte sich von seiner Nationalität, indem er erklärte, er sei Perser . Die Stadt hat Schlagseite, für diejenigen, die hier leben, vielleicht gar nicht wahrnehmbar, für einen Besucher von einem Ort des Leidens hingegen schon. Die Straßen sind von einer unterschwelligen Traurigkeit gezeichnet, etwas Verhängnisvollem gar, einem fast russischen Gefühl unausweichlichen Kummers, überdeckt von Wichtigtuerei, aber doch spürbar. Auf eine seltsame Art betont dieser Wandel die Zähigkeit, die der Stadt eigen ist. Die Skyline mag angeschlagen sein, die Stimmung dagegen ist es nicht. Es herrscht immer noch ein einziges Gerenne und Gewühle und eine Gezieltheit und Bestimmtheit, die es so nur in Amerika gibt.
    Die Medici Gallery liegt in Midtown, im Kunstviertel. Es ist früher Abend, als ich auf der anderen Straßenseite stehe. Es gibt so gut wie nichts zu sehen. Das Haus ist ein fünfstöckiges Brownstone-Gebäude mit rot und grün rankenden Bougainvillas. Während ich darauf warte, dass irgendetwas passiert, wird es dunkel. Stunden vergehen. Ich gehe über die Straße, um mir den Laden näher anzusehen.
    Flache Steinstufen führen zu einer Holztür, die aussieht, als würde sie einem Rammbock standhalten. Neben der Tür hängt ein diskretes Bronzeschild mit dem Namen der Galerie und dem Hinweis Nur nach Verabredung . Zwischen den Ranken lugt eine Kamera hervor.
    Ich kundschafte die Umgebung aus. Die Mauern auf der einen Seite und auf der Rückseite grenzen an die benachbarten Gebäude an. Auf der anderen Seite klettert eine Feuertreppe über einem Müllcontainer die Wand hoch. Der asphaltierte Weg endet in einem Maschendrahtzaun. Hinter einem Torgitter aus Stahl und Draht liegt die Tiefgarage. Alle Fenster sind innen mit Eisengittern versehen, die per Knopfdruck aus der Decke rollen. Die Medici Gallery ist gut gesichert.
    Ich habe kein Fahrzeug, aus dem ich die ganze Nacht den Eingang beobachten könnte. Seit drei Tagen bin ich hinter der Leda her, und fast genauso viel Zeit ist seit Peters Ultimatum verstrichen. Die Möglichkeit, dass sich in dem Paket nicht das Gemälde befindet, darf ich gar nicht erst in Erwägung ziehen.
    Als ich zurück zum Eingang gehe, beschließe ich, dass es Zeit für eine Konfrontation ist. Bei der ersten Gelegenheit husche ich um die Ecke, überquere die Straße, schleiche mich zurück auf die andere Seite und bleibe dort an der Mauer gepresst stehen, um auf Segelohr zu warten. Er hat gute Arbeit geleistet, mich bis hierhin zu verfolgen. Wahrscheinlich wurde er damals beim KGB ausgebildet und ist jetzt beim FSB oder arbeitet frei für Peter.
    Zumindest befolgt er die Regeln des KGB. Statt Hals über Kopf um eine unübersichtliche Ecke zu rennen, geht er erst auf die andere Straßenseite. Aber

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