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Russisches Abendmahl

Russisches Abendmahl

Titel: Russisches Abendmahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brent Ghelfi
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Sie weiter«, fordere ich ihn auf.
    »Es ist so verdammt russisch.«
    Ich lehne mich in meinen harten Stuhl zurück und bin irgendwie zufrieden, obwohl es nichts bedeutet. Dasselbe hatte ich vor Jahren zu Matthews gesagt.
     
    Es ist kurz nach zwei Uhr morgens, als ich mich von Segelohr vor seinem Hotel verabschiede und für den nächsten Morgen zum Frühstück verabrede. Dann trudle ich zurück in mein Hotelzimmer und klettere in ein zu kleines Bett. Rotes Neonlicht scheint durch die heruntergelassenen Rollläden und geht immer wieder an und aus. Kakerlaken krabbeln an den Wänden entlang, aber das stört mich nicht. Ein Rebell, den ich in Grosny verhörte, erzählte mir zwischendurch, dass er sich einen Monat lang von den Viechern ernährt hat und den Geschmack irgendwann sogar gern mochte. »Wie zu lang gebratener Speck« beschrieb er es. Er war ein Dichter aus der verwahrlosten Wolga-Stadt Uglitsch, bekannt als die Stadt, in der der Sohn Iwan des Schrecklichen, Dimitri, ermordet wurde. Er war ein sanfter Mensch und ein Christ, kein Moslem, wie die meisten Rebellen, nicht einmal ein Kämpfer. Er war hager und ängstlich und glaubte auf naive Art an die Menschheit, und er war an diesem schrecklichen Ort, weil er für die tschetschenische Unabhängigkeit eintreten wollte. Meine Aufgabe war es, ihn erst zu verhören und dann zu töten. Nachdem ich den ersten Teil hinter mich gebracht hatte, ließ ich ihn gefesselt und geknebelt zurück. Gab meinen Vorgesetzten per Funk durch, was ich über eine geheime Versorgungsroute erfahren hatte, eine von hunderten solcher Ameisenpfade von Aufständischen, und saß dann aneinandergeschmiegt mit Valja an einem kleinen Feuer auf dem Dach eines zerbombten Hauses. Die Flammen glimmten in ihren Augen wie geschmolzenes Zinn.
    »Du darfst ihn nicht töten«, sagte sie.
    »Warum nicht?«
    »Weil es grausam wäre.«
    Sie war damals fast noch ein Kind, zart wie eine Elfe, neben der Kalaschnikow, die hinter ihr an der Brüstung lehnte. Und trotzdem hatte sie den Ernst einer Frau, die dreimal so alt ist wie sie. Ihre leuchtend grauen Augen waren riesengroß, voller Seele, aber kein Vergleich zu dem, was in ihrem Herzen war.
    Der Dichter blieb am Leben.
    Das war die Nacht, in der Valja und ich uns zum ersten Mal liebten.
     
    Am nächsten Morgen rufe ich als Erstes meine NSA-Bekanntschaft Matthews an, unter einer privaten Nummer, die er mir bei der Washingtoner Tagung gegeben hatte. Damals hatte ich geglaubt, ich würde sie nie benutzen. Ich war mir sicher, dass man ihn beauftragt hatte, sich mit mir anzufreunden, um mich auszuhorchen. Heute bin ich dazu bereit. Als jemand abnimmt, melde ich mich mit meinem richtigen Namen. Es dauert länger als zehn Minuten, bis er am Apparat ist.
    »Volkowoj?«, fragt er vorsichtig.
    »Ich habe letzte Nacht eine Blues Band gesehen«, sage ich. »Es war mein zweites Mal.«
    Er lacht. Die Anspannung lässt nach, jetzt wo er weiß, dass ich es tatsächlich bin. »Was machst du in New York, Volk?«
    »Habt ihr noch diese komischen Computer in Langley?«
    »Klar. Und weißt du was? Die erwähnen mit keinem Sterbenswörtchen, dass du hier bist.«
    Ich höre ihm an, dass er es ernst meint und seine Post- 9/11-Paranoia nur gespielt ist. »Wann warst du das letzte Mal in Russland?«, frage ich ihn in dem Wissen, dass ein bestimmtes Maß an Entgegenkommen in beide Richtungen funktioniert.
    Eine Zeitlang herrscht Schweigen. Ich stelle mir vor, wie er einen grimmig blickenden Vorgesetzten ansieht und dabei die Augenbraue hochzieht. »Welchen Namen hast du benutzt?«, fragt er endlich.
    Ich nenne ihm den falschen Namen in meinem Pass.
    »Warte kurz.«
    Meine Hand fängt an zu schwitzen, während ich am Hörer hänge. Die Wahrscheinlichkeit, dass Agenten des Heimatschutzes unten durch die schmuddlige Lobby schleichen, ist gering, aber vorhanden, auch jetzt noch, wo die russisch-amerikanischen Beziehungen relativ freundschaftlich sind.
    Matthews ist wieder am Apparat. »Du willst etwas aus dem Computer, hab ich recht? Was springt für mich dabei raus?«
    Es ist immer dasselbe mit den Amerikanern, es geht nur ums Verkaufen. Er denkt wahrscheinlich, dass es immer dasselbe mit den Russen ist, immer wollen sie alles umsonst. Wir sind wie zwei sich gegenüberstehende Kinder, die versuchen, gleichzeitig etwas zu tauschen, nur dass in diesem Fall einer von uns beiden absolut nichts anzubieten hat.
    »Ich schulde dir einen Gefallen«, sage ich.
    »Und?« Er weiß, dass das nicht

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