Russisches Abendmahl
ich kenne die Regeln, also warte ich und schnappe ihn mir, bevor er weiß, wie ihm geschieht.
Ich drehe ihm den Arm auf den Rücken, bis das Handgelenk auf seinem Schulterblatt liegt, und flüstere dann gegen den leuchtenden Rücken seines abstehenden Ohres: »Bis jetzt sind wir auf derselben Seite. Mach keinen Unsinn. Okay?«
Sein Ohr wackelt. Wie auf ein Zeichen hüpft sein Kopf auf und ab.
Ich dränge ihn in einen Durchgang und taste ihn kurz ab. Alles passiert so schnell und unauffällig, dass die wenigen Passanten auf der Straße uns nicht beachten. Segelohr scheint nicht bewaffnet zu sein.
»Warum bist du hier?«, frage ich.
»Ich wurde beauftragt, Ihnen zu folgen und über ihre Schritte Bericht zu erstatten.«
»Von wem?«
»Strahow.«
»Unsinn.« Ich drücke sein Handgelenk höher, bis es knackt.
Er ist hart im Nehmen. Er wimmert nicht einmal. »Ich weiß nicht, für wen Strahow arbeitet.« Sein Atem geht so flach, dass er kaum ein Wort rausbekommt.
»Für wen arbeitest du?«
»Ich bin vom FSB in St. Petersburg.«
»Zu wem hast du mich in Prag gebracht?«
»Ich weiß es nicht«, er schnappt nach Luft, als ich seinen Arm hochziehe. »Ich schwöre. Er saß in einer Limousine mit verdunkelten Scheiben. Ich habe ihn nie gesehen.«
Ich schleudere ihn herum. Er ist älter als ich seinem Hinterkopf nach geschätzt hätte. Anfang, Mitte dreißig, dünne Lippen in einem schmalen, blassen Gesicht mit zwei großen Leberflecken auf der Schläfe und neben der Nase, und traurigen braunen Augen. Mir fällt ein, wie rücksichtsvoll er mir die Fußfesseln angelegt hat. Ich wechsle ins Englische.
»Sprechen Ihre Befehle dagegen, mir zu helfen?«
Ein zögerndes Lächeln bringt seine verstümmelten Zähne zum Vorschein, die alle gelb sind, bis auf einen grauweißen. Dieser eine ist natürlich falsch, die Zahnmedizin in Russland ist, bis auf die für die ganz Reichen, zu sehr praktisch orientiert, um sich mit kosmetischen Fragen zu beschäftigen.
»Nein.«
»Kommen Sie.«
Ich packe seinen unverletzten Arm und schleppe ihn die Straße entlang zu einem lauten Kellerclub, an dem ich vorher bei meinem Streifzug vorbeigekommen bin. Draußen vor dem Schuppen brennt Neonlicht, in saphirblauen Buchstaben steht The Rhythm Room geschrieben. Ich zahle vierzig Dollar für uns beide. Ein Türsteher lässt uns in eine verrauchte, stickige Bar. Wir bahnen uns einen Weg entlang der vollen Tanzfläche, die so klein ist, dass ich an Engel denken muss, die auf einem Stecknadelkopf tanzen. Von einem Tisch im hinteren Bereich sehen wir eine Blues Band mit vielen Bläsern spielen. Sie nennen sich die HooDoo Kings.
Mein neuer Freund ist fasziniert von der taumelnden Menge und der lärmenden Musik. Die Band verbindet primitive Rhythmen mit der Sinnlichkeit des Souls. Das erste Mal, dass ich Delta-Blues gehört habe, war in der amerikanischen Hauptstadt. Ich war wegen einer Geheimdienst-übung da, einer »kooperativen Nutzung« von Informationen, im »gemeinsamem Interesse der USA und der Russischen Föderation«. Der Ablauf war nicht ganz in diesem Sinne, aber symbolisch für die Beziehung zwischen den beiden Ländern. Die Amerikaner gaben die Anweisungen und die Russen spielten mit. Der NSA-Mann, der mich eines späten Abends nach einer der todlangweiligen Schulungseinheiten in den Washingtoner Club mitnahm, ein Mann namens Matthews, beobachtete meine Reaktion genauso wie ich jetzt die von Segelohr.
Matthews sagte damals zu mir, »Wie gefällt Ihnen das?«, und als die Band eine Pause einlegt, stelle ich Segelohr dieselbe Frage.
Seine traurigen Augen blicken mich an. Er sieht in mir eine abgestumpfte Marionette, unfähig, die Musik zu verstehen. Aber er will darüber sprechen, wie sie ihn bewegt, ich sehe es ihm an, also warte ich.
»Ich kenne diese Musik«, sagt er endlich. »Von Bootleg-CDs.«
Popmusik bekommt man in Moskauer Geschäften und an Ständen in der U-Bahn. Etwas mehr Kreativität, normalerweise in Form von Internet-Downloads, ist gefragt, wenn man Musik wie diese hier finden will. Ich nicke zustimmend.
»Aber die Aufnahmen sind nicht dasselbe wie das hier.« Er zeigt auf die Bühne.
»Nein, da haben Sie recht.«
»Es ist sehr - wie sagt man? Black America.«
Ich nicke wieder und warte.
»Aber die Einsamkeit und … der Hunger.« Er sieht weg. Er scheint verlegen, wahrscheinlich fällt ihm ein, dass er mich nur aus einer dicken Akte kennt. In der nur schlimme Dinge stehen, dessen bin ich mir sicher.
»Sprechen
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