Russisches Abendmahl
Andere hängen wie bunte Wäsche aus den Fenstern. Orlan drängt mit angewidertem Gesichtsausdruck vorbei an barbrüstigen Jungs und make-up-verschmierten Mädchen. Es fällt nicht schwer, ihm zu folgen - er sieht sich kein einziges Mal um und treibt in Gedanken vertieft immer weiter vorwärts. Fünfzig Schritte hinter dem von Türstehern gesicherten Eingang biegt Orlan in einen der dunklen Gänge, die von den Neonlichtern wegführen.
Ich nähere mich vorsichtig, spähe um die Ecke und tue weiterhin so, als bemerkte ich Segelohr hinter mir nicht. Auf halbem Wege durch einen schmalen Durchgang steigt Orlan über einen Bewusstlosen mit nach außen gekehrten Hosentaschen und bleibt vor einer Tür unter einem verrosteten Eisenvordach stehen. Gerade noch rechtzeitig, bevor er sich zum ersten Mal umsieht, trete ich hinter die Mauer zurück. Als ich wieder hinschaue, ist er im Inneren des Gebäudes verschwunden.
Ich laufe zur Rückseite des Hauses. Dort ist kein Ausgang zu sehen, also kehre ich um und folge Orlan. Auf dem Vordach über der verbeulten grauen Stahltür prangt der Schriftzug Smetanovo Place Casino.
Klüger wäre es zu warten und dem Franzosen, wenn er wieder rauskommt, an einen ruhigeren Ort zu folgen. Aber dazu braucht man Zeit und einen Partner, der eventuelle Seitenausgänge überwacht. Meine Partnerin ist halb zerstückelt und mit jeder Sekunde, die verstreicht, weiterem Horror ausgesetzt.
Die eingedellte Tür führt in einen quadratischen Raum. In der Wand gegenüber ist eine Fensteröffnung mit einem Stahlgitter davor. Im Käfig dahinter sitzt eine bleiche Frau mit einer quietschroten Perücke. Davor steht ein uniformierter Wachmann mit einer M-1 Maschinenpistole über der Schulter. Er mustert mich und rollt ein Stück Kautabak unter der Lippe. Ich weiß, was er sieht. Russe mit Gefängniserfahrung, fiese Streetfightervisage, bronzefarbig schimmernde Stoppeln und der Blick eines wilden Tieres - so sieht ein Gangster aus.
Er hält den Lauf seiner M-1 in meine Richtung und tippt sich gegen das Kinn. Mein Jackett schlägt auf, als ich die Arme ausbreite. Er klopft mich gründlich aber höflich ab, vom Knöchel über den Schritt bis zu den Achseln. Russische Gangster bringen gutes Geld und sollten nicht unnötig beleidigt werden.
Während er seinen Job erledigt, zoomt eine Kamera auf mein Gesicht. Ich nehme an, dass Orlan ein Kunde ist und nicht zu den Betreibern dieses Ladens gehört, aber selbst wenn er im Kontrollraum am anderen Ende der Kamera sitzt, dürfte ihm mein Gesicht nichts sagen. Das Messer in meiner Prothese bleibt auch diesmal unentdeckt.
Der Wachmann tritt zurück. Ich wechsle Rubel gegen Chips im Wert von fünfhundert Dollar. Als die Frau hinterm Gitter lächelt, erinnern mich die mit Rouge bedeckten Fleischfalten in ihrem Gesicht an einen Zirkuselefanten, der mit dem Hintern wackelt. Die Chips sind aus Grobkeramik, ziegelrot bemalt mit einem grünen Kreis. Der Wachmann hält eine getönte Glastür auf, und ich trete in einen dunklen Vorraum.
Kaum ist die Tür zu, spüre ich, dass jemand im Raum ist, lasse mir aber nichts anmerken. Aus der Dunkelheit sagt eine Stimme auf Russisch »Willkommen.«
Ich tue überrascht, drehe mich um und stehe einem Mann im schwarzen Anzug und kreidefarbenen Hemd gegenüber. Er gibt mir ein Zeichen, ihm zu folgen, und führt mich eine metallene Wendeltreppe hinauf.
»Was spielen Sie?«
»Roulette.« Orlan wirkt auf mich wie ein Roulettespieler.
»Die teuflische silberne Kugel.«
Wir erreichen das Ende der Wendeltreppe. Er führt mich einen mit Teppich ausgelegten Flur entlang vorbei an einem weiteren Wachmann ins Kasino. Reihen von Spielautomaten geben klingelnde Münzen und elektronisches Gegacker von sich. An der einen Seite des Raums stehen Black-Jack-Tische, an der anderen eine lange Bar. In der Mitte wird Roulette, Würfeln und Baccara gespielt, im hinteren Bereich, auf einem erhöhten Bereich, Poker. Ernst dreinblickende Männer, gekleidet wie mein Begleiter, beaufsichtigen die Tische. Die Croupiers gucken grimmig. Die Cocktail-Kellnerinnen haben die knackigen Hintern und vorstehenden Brüste von Jugendlichen. Eine von ihnen balanciert ihr Tablett auf der Schulter, während sie mit durchgedrücktem Becken an der Bar steht und mit Orlan redet.
»Sie haben recht«, sage ich. »Die Kugel ist böse.« Ich steuere die Bar an. »Ich muss mir erstmal ein paar Gläschen Mut antrinken.«
»Ich lasse Ihnen die Getränke gern an den Tisch
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