Russisches Abendmahl
bringen.«
»Nein, danke.«
Er blickt mich enttäuscht bis verärgert an, lässt mich dann aber in Ruhe, als ich mich zwei Plätze vom Franzosen entfernt setze. Der Barkeeper gleitet rüber und nimmt meine Bestellung von Wodka auf Eis entgegen. Ich schnappe Gesprächsfetzen auf. Orlan spricht über Geld, ohne das Wort zu benutzen - sein tolles Hotel, die Thai-Massage, den erstklassigen Zimmerservice. Die Kellnerin handelt etwas mit ihm aus, tut aber verschämt dabei. Wahrscheinlich ist das Kasino an ihren Einnahmen nach Dienstschluss beteiligt, sonst würden die herumschleichenden Kasinoleute nicht zulassen, dass sie solange mit einem Gast redet.
Bei näherer Betrachtung sieht Orlan aus wie ein zu gut gekleideter Ornithologe, ein Vogelgucker ohne Khakishorts und Fernglas. Die Eulenbrille lässt ihn neugierig erscheinen, während er ganz offensichtlich versucht, charmant zu sein.
»Ich habe um drei Schluss«, sagt sie.
»Ich warte auf dich.« Es ist keine Frage, aber er guckt so, als wäre es eine.
»Okay. Ich kann dich aber auch von der Lobby aus anrufen. Zimmer 618, stimmt’s?« Sie steht mit dem Rücken zu mir, aber ich kann das Lächeln in ihrer Stimme hören.
»Ich warte«, sagt er.
Er bedrängt sie noch weiter, doch ich habe genug gehört. Fünfzehn Minuten später und um die Hälfte meiner Chips ärmer kann ich gehen, ohne Verdacht zu erregen. Ein seriöser Tisch bringt dem Haus fünf Prozent. Ich bin neu und komme wahrscheinlich nie wieder, also wird die Geschäftsleitung dem Zufall etwas auf die Sprünge helfen. Ich schätze, der Croupier kippt das Rad unmerklich mit einem Pedal, aber es gibt noch einen Haufen andere Methoden, einen Roulettetisch zu manipulieren.
Segelohr folgt mir zurück bis ins Intercontinental. Es ist unter der Woche, und das Hotel hat noch ein Zimmer für einen späten Gast. Als ich oben bin, rufe ich den Service an und bitte um mehr Handtücher. Das zerzauste koreanische Zimmermädchen, das sie bringt, trägt ihre Generalschlüsselkarte an einem elastischen Band an ihrem Unterarm. Sie hält meinem Blick nicht stand, als ich sie hereinlasse. Ich weiß warum. Mit der Zeit habe ich gelernt, nicht mehr ganz so brutal auszusehen, einen weicheren Gesichtsausdruck und einen weniger bösen Blick aufzusetzen, aber jetzt bin ich wieder ganz der Alte, und die Wut ist zurück.
So unwohl wie sie sich fühlt, muss ich nur noch aus Versehen gegen sie stoßen und ihr den Schlüssel abnehmen. Das ist einfacher als einem Touristen die Uhr zu klauen. Mit ein bisschen Glück wird sie es erst nach ein paar Stunden bemerken. Sie legt die Handtücher aufs Bett und eilt aus dem Zimmer, zweifellos froh, mich los zu sein.
Ich werfe einen Blick auf meine Uhr. Kurz nach ein Uhr morgens. Jede Menge Zeit, bis Orlan mit seiner Verabredung nach Hause kommt. Zuversichtlich marschiere ich durch den menschenleeren Flur im sechsten Stock. Der Schlüssel funktioniert, innerhalb von Sekunden bin ich in Orlans Zimmer. Seine Suite ist schöner als meine. Teakparkett, Ledersofa und Couchtisch in einem kleinen Wohnzimmer, das Bad groß genug, um Hampelmänner zu machen.
Ich fange im Wandschrank an. Der Hotelsafe steht offen - er ist leer. An Holzkleiderbügeln mit Messinghaken hängen ordentlich aufgereiht ein paar Hosen, zwei Anzüge, olivgrün und marineblau, und mehrere helle Hemden. Auch seine Sachen sind schöner als meine, das Material ist besser und der Schnitt moderner.
Das knisternde Papier in der Innentasche des marineblauen Jacketts entpuppt sich als eine Auftragsbestätigung. Auf dem Formular stehen Name und Logo einer Firma namens Golden Egg Shipping. Im Text unter dem Logo ist zu lesen, dass die Firma auf den Transport und Versand von »Wertvollen Antiquitäten« spezialisiert ist.
Das Paket, von dem die Rede ist, misst 1,50 × 1,50 × 10,0 cm. Groß für die Leda , aber ich nehme an, sie ist aufwändig verpackt. Es ist als »Vorsicht zerbrechlich!« deklariert. Für die Verpackung wurden zusätzliche $ 500 berechnet. Vor zwei Tagen wurde es via Luftfracht an eine Ms. Jelena Posnowa in der Medici Gallery in New York versandt.
Ursprünglich hatte ich geplant, Orlan ins Verhör zu nehmen. Das ergäbe immer noch Sinn. Es gibt so viele unbeantwortete Fragen. Der General, Maxim und Peter, von denen jeder sein eigenes Spiel spielt, und Valja, deren Leben an einem seidenen Faden hängt. Die Gewinnchancen im Kasino standen dagegen weitaus besser. Aber das Problem ist, wenn ich Orlan ausquetsche, muss er am
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