Russisches Abendmahl
ich mich hinter eine Eiche. Als keine Kugeln mehr kommen, presse ich so leise wie möglich mein Ohr auf den Boden. Vibrierende Schritte verraten mir, dass mein neuer Gegner das Weite sucht.
Vorsichtig krieche ich durch das Gestrüpp zu Orlan und hoffe das Unmögliche, aber er ist tot. Ich durchsuche ihn kurz, finde aber nichts, also kümmere ich mich um seinen Mörder. Er hat eine nasse Spur im Gras hinterlassen, der ich langsam folge, aus Angst vor einem Hinterhalt. Kurz darauf komme ich an eine neue Mauer und klettere hinüber, aus dem Friedhof raus auf eine enge Straße. Von meinem Feind ist nichts zu sehen. Die hektischen Lichter und quäkenden Polizeisirenen in der Ferne bedeuten, dass man Juri gefunden hat. Mich zieht es weg von dem Lärm, zwischen zwei Wohnhäusern hindurch, vorbei an geschlossenen Lokalen und einem Handyladen.
Ich lege mehrere Blocks zurück, bis ich mir sage, dass es sinnlos ist, weiterzulaufen. Abrupt ändere ich die Richtung und sehe gerade noch, wie sich hinter mir eine Gestalt wegdreht. Ich verfluche mich innerlich, nicht damit gerechnet zu haben, dass er genauso gut mir folgen kann, und jage ihm nach. Er sieht sich kein einziges Mal um, rennt immer weiter, mindestens so schnell wie ich, bis er plötzlich in eine Häuserwand eintaucht.
Dort, wo er verschwunden ist, hämmert basslastiger Techno gegen eine Metalltür in der Ziegelmauer. Die Vorderseite ist mit Reifeneisen vergittert. Auf dem blutroten Neonschild darüber steht CrowBar . Ich schiebe mich in einen Treppenschacht, der so eng ist, dass ich meine Schultern seitwärts stellen muss, um durchzupassen. Auf dem Absatz zehn Stufen weiter unten lauert ein Türsteher. Ein barbrüstiger Buddha mit großen Kreolen, einem tätowierten Teufel, der vom Hals runter bis über seine Speckringe läuft, rot geschminkten Lippen und verwischtem lila Lidschatten.
»Hallo, Süßer«, begrüßt er mich.
Ich dränge ohne ein Wort an ihm vorbei und galoppiere weiter die Eisengitterstufen runter in buntes Stroboskoplicht - ein Film aus schnell hintereinanderfolgenden Standbildern, die ein aufgewühltes Meer nach oben gerichteter Gesichter zeigen. In ihnen spiegeln sich Drogenrausch, Wut, Lust, Eifersucht, Ekstase und … dort rechts, abseits der Tanzfläche, schiebt sich in einem Strahl violetten Lichts die Silhouette eines bulligen Mannes zielstrebig durch den wogenden Pulk.
Ohne Rücksicht zu nehmen, durchpflüge ich das Partyvolk. Gesichter nehmen Gestalt an und verschwinden wieder, verängstigt von dem, was sie in meinen Augen sehen. Jemand versperrt mir den Weg mit einem Lederband um den Unterarm, aus dem silberne Stachel ragen. Ich drehe ihm erst den Finger, dann das Handgelenk um, spüre den Knochen brechen, bei der Lautstärke kaum zu hören, und lasse ihn zu Boden sacken.
Der hintere Bereich besteht aus einem kurzen Flur und türlosen Unisex-Toiletten. Musik und Partylärm sind immer noch laut, aber etwas gedämpfter, wie wenn man fünfzig Meter von einem kreischenden Düsentriebwerk entfernt steht statt zehn. Ohne mich um ihr wütendes Geschrei zu kümmern, packe ich die Leute vor den Urinalen an der Schulter und sehe mir ihre Gesichter an, woraufhin die Pisse im hohen Bogen durch die Reihen spritzt. Ich trete Türen ein und überrasche ein küssendes Paar. Finde in der nächsten Kabine ein Mädchen, das auf Knien in eine vollgeschissene Schüssel kotzt. Vor Wut brüllend dränge ich zurück auf den Gang, auf dem es jetzt noch voller ist, überall gaffende Betrunkene, die darauf warten, dass man mich zu Boden prügelt.
Der Buddha Türsteher schwingt einen Knüppel und guckt jetzt eher finster als lüstern. Auf den Stufen über ihm steht ein dünner Mann in einem zu großen orangenfarbenen Anzug und hält eine Pistole auf mich gerichtet. Ich nehme an, er ist der Besitzer, der, der abkassiert, während die anderen die Drecksarbeit erledigen.
Ich bin außer mir vor Wut. Valja ist zerstückelt. Juri hat es erwischt, während er für mich Schmiere stand. Orlan liegt mausetot auf dem Friedhof und kann mir nicht mehr verraten, was er mit dem diamantgeschliffenen Sägeblatt vorhatte, das durch Beton schneidet. Wer auch immer sie getötet hat, ist weg, und ich habe keine einzige beschissene Antwort.
Ich trete einmal gerade zu, keine ausgefallenen Roundhouse-Kicks oder Seitwärtsbewegungen, einfach hoch und zack. Mein Stahlkappenstiefel zersplittert Buddhas Nase und verspritzt blutrote Blütenblätter wie eine blühende Rose. Als er zu Boden
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